Ehre, wem Ehre gebührt

Neukölln erinnert mit Lucy-Lameck-Straße an antikoloniale Politikerin Tansanias

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

»Lucy Lameck wird als Heldin beschrieben, die den antikolonialen Kampf in Tansania angeführt hat«, erklärt Oswald Jotam Masebo, Historiker an der tansanischen Universität Dar es Salaam, bei einer Veranstaltung anlässlich des offiziellen Festakts zur Umbenennung der Neuköllner Wissmannstraße in Lucy-Lameck-Straße an diesem Freitag.

Bis jetzt ehrte diese Straße mit Hermann von Wissmann einen Mann, der in Tansania, dem Heimatland des Berlin-Postkolonial-Sprechers Mnyaka Sururu Mboro nur als »maafa« bekannt ist, wie er dem »nd« erzählt: große Katastrophe. Wissmann wurde seinerzeit in die Region am Kilimandscharo - die Kolonie Deutsch-Ostafrika umfasste die Regionen des heutigen Tansania (ohne Sansibar), Ruanda, Burundi und Teile Mosambiks - geschickt, um den Widerstand der Bevölkerung gegen die Kolonisierung gewaltsam niederzuschlagen. Mboro ist froh, dass die Straße endlich umbenannt wird: »Kolonialpropaganda hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen. Stattdessen brauchen wir eine Ehrung des antikolonialen Widerstands!«

Die tansanische Politikerin Lucy Lameck ist eine Vertreterin dieses Widerstands. Zwar ist sie mit 1934 zu spät geboren, um direkt gegen die deutsche Zwangsherrschaft aufbegehrt zu haben. Doch die ausgebildete Krankenschwester lehnte den Eintritt in den britischen Kolonialdienst ab und schloss sich bald der Tanganyika African National Union (TANU) unter Führung des späteren Präsidenten Julius Nyerere an, der Tansania 1961 in die Unabhängigkeit führten sollte. Lameck wurde die erste Frau im tansanischen Parlament und setzte sich Zeit ihres Lebens für Geschlechtergerechtigkeit und für den Aufbau eines von Europa unabhängigen Tansanias ein - in jener Region, in der Jahrzehnte zuvor die berüchtigte »Wissmanntruppe« ihr Unwesen trieb.

Bereits jetzt erinnern Straßennamen und Schulen in Tansania an die global vernetzte Panafrikanistin, nun wird sie auch in Berlin geehrt. »Als vielleicht vielfältigster Ort der Republik mit Menschen aus 150 Nationen steht Neukölln heute für Diversität, für ein selbstbestimmtes Leben und gegen jede Form von Rassismus. Für diese Werte steht auch das Wirken von Lucy Lameck«, erklärt Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD).

Immer wieder stehen Vorwürfe im Raum, Umbenennungen tilgten die Geschichte oder zwängen autoritär ein bestimmtes Geschichtsbild auf. »Es ist keineswegs so, dass Umbenennungen die Kolonialgeschichte aus dem öffentlichen Raum tilgen. Aber es soll ein Perspektivwechsel stattfinden, indem nicht koloniale Akteure geehrt werden, sondern antikoloniale«, erklärt die Historikerin Manuela Bauche. Straßenumbenennungen seien ein üblicher Vorgang, wenn Epochen retrospektiv neu bewertet werden.

Der Prozess, der zu diesem Perspektivwechsel in Neukölln führte, begann 2018 mit einem ersten Beschluss, 2019 wurde die Zivilgesellschaft eingebunden. Die damit beauftragte Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) ist stolz: »Wir haben es geschafft, einen transparenten und gut strukturierten Beteiligungsprozess zu entwickeln und diesen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen«, sagt sie zu »nd«. Anders als etwa im Afrikanischen Viertel, folgt die Umbenennung hier geradlinig auf den Beschluss. Im Wedding, wo der erste Beschluss zur Umbenennung 2016 gefasst wurde, zieht sich die Umsetzung auf nicht absehbare Zeit hin, weil Einwohner*innen dagegen geklagt hatten.

Auf den Festakt am Freitag folgen weitere Veranstaltungen zur dekolonialen Erinnerungskultur in Neukölln. Sie verweisen darauf, dass es nicht bei Straßennamen bleiben kann. Die Menschen, die die sogenannte Wissmann-Truppe ermordet hat, wurden teils für rassistische Untersuchungen nach Deutschland gebracht. Nach Angaben von Berlin Postkolonial liegen in Berlin mindestens 270 Menschen aus Tansania und 900 aus Ruanda in Museumssammlungen. Mboro betont gegenüber »nd«: »Die Umbenennung ist für mich ein kleiner Trost, bedeutet aber noch keine Heilung. Ein zweiter Schritt muss sein, die menschlichen Gebeine zurück nach Tansania zu bringen, damit wir unsere Ahnen bestatten und Frieden finden können.«

Das fordert auch Masebo, der der Veranstaltung aus Dar es Salaam zugeschaltet war.

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