Die Regeln kennen und den Code entschlüsseln

was Arbeitszeugnisse aussagen

  • Sophia Reddig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sie arbeitete gewissenhaft und zuverlässig« - eine solche Formulierung klingt für Arbeitnehmer erst einmal nicht schlecht. In der Welt der Arbeitszeugnisse aber entspricht diese Bewertung der Schulnote 3. Da der weitaus größte Teil der Arbeitszeugnisse eine Gesamtnote 1 oder 2 enthält, ist das schon unterdurchschnittlich.

Aber warum sind Arbeitszeugnisse immer so positiv formuliert, obwohl eigentlich etwas ganz anderes gemeint ist? Nadine Absenger leitet den Bereich Recht und Rechtspolitik bei der Gewerkschaft Verdi und sagt: »Ein Arbeitszeugnis muss nicht nur vollständig, wahrheitsgemäß, in sich widerspruchsfrei und verständlich geschrieben sein, sondern auch wohlwollend.« Das haben Gesetzgeber und Gerichte so festgelegt. »Natürlich ergibt sich da ein Spannungsfeld zwischen der Wahrheit, dem Wohlwollen und der Vollständigkeit - nicht alle Mitarbeiter können immer Bestleistungen erbringen«, fügt Absenger hinzu. Daher hat sich eine Art eigene Sprache etabliert, die für Laien zunächst schwer verständlich ist. Dabei kommt es auf die Details an.

Scheinbar kleine Varianten in der Formulierung können einen großen Bewertungsunterschied ausmachen. So entspricht etwa die Formulierung »arbeitete stets/durchgehend/immer zu unserer vollsten Zufriedenheit« einer 1, »arbeitete stets/durchgehend/immer zu unserer vollen Zufriedenheit« dagegen einer 2 und »zu unserer vollen Zufriedenheit« oder »stets zu unserer Zufriedenheit« der Schulnote 3. Bei schlechter Mitarbeit können Arbeitgeber auch »zu unserer Zufriedenheit« (Schulnote 4) schreiben, »im Großen und Ganzen (insgesamt) zu unserer Zufriedenheit« (Schulnote 5). Ein »hat sich bemüht«, das wäre dann schon Schulnote 6 - also »ungenügend«.

Selbst Laien können ein gutes Arbeitszeugnis also daran erkennen, dass vor jeder Beurteilung ein »immer«, »jederzeit« oder »stets« steht. Fachliteratur oder eine kurze Recherche im Internet können dabei helfen, die Formulierungen richtig zu übersetzen. »Wenn man sich als Mitarbeiter unsicher ist, kann man das Arbeitszeugnis prüfen lassen«, rät Absenger.

Was alles dazu gehört

Neben der Sprache ist die Vollständigkeit ein Faktor, den Arbeitnehmer sich ansehen sollten. Laut Absenger gehört in ein gutes Zeugnis zuallererst der offizielle Firmenkopf, eine kurze Vorstellung des Mitarbeiters und der Firma selbst. »Denn zukünftige Arbeitgeber kennen ja oft nicht unbedingt das Unternehmen, aus dem ein Bewerber ausgeschieden ist.«

Dann sollte das Arbeitszeugnis die wesentlichen Tätigkeitsfelder des Mitarbeiters aufzählen und schließlich auch die Leistung und das Verhalten bewerten. Abschließend fügen viele Unternehmen noch eine Schlussformel an, in der dem Mitarbeiter gedankt wird und ihm Wünsche für die Zukunft mit auf den Weg gegeben werden. »Dieser letzte Teil kann in manchen Fällen ebenfalls problematisch werden«, sagt Absenger. Rechtlich gebe es zwar keinen Anspruch auf diese Schlussformel. Fehlt sie aber in einem Arbeitszeugnis, wird das von Personalern häufig als schlechtes Zeichen gedeutet.

Die Wichtigkeit der Endformel

»In der Endformel steht auch oft, dass der Mitarbeiter die Firma auf eigenen Wunsch verlässt. Fehlt ein solcher Satz, liegt der Schluss nahe, dass jemandem gekündigt wurde«, so Absenger. Auch wenn dem Mitarbeiter innerhalb der Endformel nicht »weiterhin viel Erfolg«, sondern nur »viel Erfolg« gewünscht wird, kann vermutet werden, dass er im Unternehmen nicht wirklich erfolgreich war.

Ein schlechtes Arbeitszeugnis kann banale Gründe haben. »Vor allem bei kleinen Betrieben ohne Personalabteilung kann es vorkommen, dass das Zeugnis gut gemeint ist, aber niemand die speziellen Formulierungen kennt«, sagt Absenger. Ein klärendes Gespräch helfe da weiter. Finden Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine einvernehmliche Lösung, können Arbeitnehmer vor Gericht ziehen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber sich weigert, ein Arbeitszeugnis auszustellen.

»Zu beachten ist hier, dass Arbeitnehmer zwar ein Recht auf ein Arbeitszeugnis haben, aber nur, wenn sie es innerhalb der festgelegten Frist explizit anfordern«, erklärt Absenger. Normalerweise beträgt diese Frist drei Jahre, in manchen Arbeits- oder Tarifverträgen werde aber festgehalten, dass Arbeitnehmer teilweise nur drei Monate nach dem Ausscheiden Rechtsansprüche darauf haben. »Deshalb würde ich jedem dringend raten, zeitnah zu prüfen, ob ein zufriedenstellendes Arbeitszeugnis ausgestellt wurde«, gibt Absenger Arbeitnehmern auf den Weg.

»Natürlich ist das Arbeitszeugnis ein wichtiger Faktor, vor allem bei der Vorauswahl der Bewerber. Viel wichtiger ist aber im Endeffekt der Eindruck, den jemand beim Bewerbungsgespräch hinterlässt«, sagt Benjamin Stumpp von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. dpa/nd

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