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  • Science-Fiction-Roman »DAVE«

Gott als Maschine

Raphaela Edelbauer erzählt in ihrem Science-Fiction-Roman »DAVE« die Geschichte von Syz, der die ihn umgebende Ideologie zu hinterfragen beginnt

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Erde ist unbewohnbar geworden. Die wenigen verbliebenen Menschen leben auf engem Raum in einem hermetisch abgeriegelten Gebäude, dem »Labor«. In den unteren Stockwerken sorgen Arbeiter*innen in der Enge für das Funktionieren des ganzen Komplexes, weiter oben sind die Wissenschaftler*innen und Programmierer*innen angesiedelt. Nur selten begegnen sich Angehörige der beiden Gruppen. Und dennoch arbeiten sie alle an einem einzigen Ziel: Endlich DAVE fertigzustellen. DAVE ist eine hochkomplexe Künstliche Intelligenz, von der nichts weniger als die Lösung aller Probleme erwartet wird. Doch gibt es vereinzelt auch Zweifel: Ist DAVE vielleicht nichts anderes als ein Kontrollinstrument, das den Interessen Einzelner dienen soll?

Was im ersten Moment nach dem Plot einer wenig originellen Dystopie oder einer mittelprächtigen »Star Trek«-Episode klingt, ist in Wahrheit der Beginn eines der interessantesten Romane des Frühjahrs. Raphaela Edelbauer, die in ihrem Debüt »Das flüssige Land« bereits geschickt die Abgründe der Provinz mit subtiler Phantastik verband, wagt sich mit ihrem neuen Roman noch weiter ins Ungewöhnliche und Abgedrehte vor: »DAVE« ist literarische Science Fiction vom Feinsten - klug, spannend, auf gute Weise verwirrend und von großer Relevanz für die Debatten der Gegenwart.

Der trottelige Syz ist die Hauptfigur des Romans, einer von Tausenden Programmierer*innen, die Tag und Nacht der Fertigstellung von DAVE entgegenarbeiten. Wie seine Kolleg*innen ist Syz heillos überarbeitet: »Drehkreuz auf, zwölf Stunden in die SCRIPTs bluten, Stechkarte raus und in der Bibliothek an der Dissertation schreiben, bis mir der Kopf auf die Brust sank.« Er ist ein bisschen enttäuscht, dass er schon länger nicht mehr befördert worden ist, aber sonst ist er ganz zufrieden. Die allgegenwärtige Überwachung und die häufigen Propagandaveranstaltungen mit Durchhalteparolen, auf denen DAVE als Heilsbringer angepriesen wird, gehören zum Alltag. Für die meisten der Labor-Bewohner*innen ist »das Fehlen von Käse das größere Ärgernis«.

Edelbauer verknüpft die unterhaltsamen Schilderungen des Alltags und der Erlebnisse ihrer Hauptfigur mit allgemeinen Überlegungen zum Thema Künstliche Intelligenz. In den stellenweise essayhaften Passagen lernt man viel, zum Beispiel über die Geschichte der Programmierung und die Pionier*innen der Computertechnik. Immer wieder kehrt der Roman zu der Frage zurück, was wir uns von einer mächtigen Künstlichen Intelligenz erwarten können. Die Bewohner*innen des »Labors« haben darauf zwei verschiedene Antworten - und die beiden Fraktionen verkörpern verschiedene Formen des Traums, mit Hilfe von KI zu besseren Menschen zu werden.

Die Transhumanist*innen fordern die Vereinigung von Mensch und Maschine: »Hirn in die Cloud JETZT« lautet eine ihrer Parolen. Ein digitaler Geist soll den lästigen schwachen Körper überflüssig machen oder zumindest neue Formen der Optimierung schaffen. Mit der »Möglichkeit, Organfunktionen outsourcen zu können« würden ganz neue Formen der Ausbeutung entstehen: »Arbeitslose übernehmen das Muskelwachstum für hochrangige Manager und Professoren, Frauen, die nebenbei jobben wollen, verstoffwechseln das Östrogen für gestresste Forscherinnen.«

Die Neoterraner*innen dagegen wollen am menschlichen Körper festhalten und fordern die »unendliche Ausweitung seines Aktionsradius«. Sie wollen die Erde für die Menschheit zurückerobern und sich gleichzeitig auf den Weg hinaus ins Weltall machen, um den Mars oder andere Planeten zu kolonialisieren. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass die KI ihnen als Heilsversprechen dient. DAVE verspricht eine glorreiche Zukunft, für die man im Hier und Jetzt schuften und leiden muss. Es entstehen sogar Sekten, die die KI als Erlöser verehren. DAVE ist eine riesige Projektionsfläche mit Platz für all die unterschiedlichen Hoffnungen.

Syz kann mit allem nicht besonders viel anfangen. Bei einer der vielen Propagandaveranstaltungen, wo aktuelle Fortschritte präsentiert werden, kommentiert er ironisch: »Die Möglichkeiten sind überschaubar. (…) Es geht entweder um Unsterblichkeit oder um eine Uranusexpedition, um Robotik, die Heilung von Krebs, das Ende des Alterns, das Ende der Menschheit, das Ende der Geschichte oder aber alles davon.« Wirklich hinterfragen tut Syz seine Arbeit an DAVE aber vorerst nicht. Als er eines Tages ins Zentrallabor gerufen wird, um noch direkter an der Fertigstellung mitzuwirken, fühlt er sich vielmehr geehrt und ist bereit, den besonderen Auftrag anzunehmen.

Es geht dabei um die Frage, wie DAVE Bewusstsein erlangen kann. Die sogenannte Personenhypothese geht davon aus, dass eine Künstliche Intelligenz nicht nur Wissen benötigt, um Bewusstsein zu entwickeln, sondern auch »ein Ich, einen Ausgangspunkt«. Auch wenn DAVE alles weiß, alle Fakten kennt und alles berechnen kann, ist er nicht mehr als eine komplexe Rechenmaschine mit riesigem Speicher. »DAVE muss jemand sein, um die Motivation zu einer spezifischen Handlung zu besitzen.« Um das zu erreichen, soll sein Bewusstsein nach einem realen Vorbild gestaltet werden. Und der Algorithmus hat Syz als bestmöglichen Kandidaten für diese Aufgabe ausgewählt.

In regelmäßigen Sitzungen werden seine Erinnerungen aufgezeichnet und seine Gedanken und Gefühle dabei in DAVE eingespeist. Syz ist anfangs gewissenhaft bei der Sache, aber schon bald beschleicht ihn (und die Leser*innen) das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Alles scheint nicht ganz zusammenzupassen: Als Syz herausfindet, dass er einen Vorgänger hatte, der spurlos verschwunden ist, beginnt er sich zu fragen, ob DAVE wirklich allen Menschen dienen oder nur der Laborleitung bei der Durchsetzung ihrer Interessen behilflich sein soll. Auch dass man über die Welt außerhalb des Laborgebäudes wenig mehr als Schauermärchen für Kinder erfährt, lässt Syz misstrauisch werden. Was war das für eine Katastrophe, die die Erde unbewohnbar gemacht haben soll und warum hat er sich das bisher noch nie gefragt?

Der Roman ist - neben vielem anderen - auch die Geschichte von jemandem, der anfängt, die Ideologie, die ihn umgibt, zu hinterfragen. Syz beginnt, nach Fakten und Beweisen zu suchen, statt weiter an Schauergeschichten und Heilsversprechen zu glauben. »Je mehr man erkennt, desto mehr begreift man die Hässlichkeit der Welt«, heißt es an einer Stelle. Aber auch das Offensichtliche, was man nicht erst begreifen und enthüllen muss, ist bereits hässlich genug: Schon bei der offiziellen Ideologie von DAVE, die die Laborleitung verbreitet, wird es einem angst und bange. Ziel ist die »Elimination des Leidens« durch die »Elimination der Irrationalität«. Ordnung soll an die Stelle von Unordnung treten und das Denken sich vollständig der Logik unterordnen.

Es soll »kein Blabla« mehr geben, sondern »nichts als die absolute Wahrheit«. Zweifel und Graustufen sind nicht vorgesehen. »Jede Handlung solle den effizientesten, sinnvollsten, elegantesten Weg nehmen: den der Vernunft.« Das erinnert an die instrumentelle Vernunft, vor der Adorno und Horkheimer warnten: Vernunft als reine Zweckrationalität, die keinen Platz für Abweichendes und Individuelles lässt. Diese Form der Vernunft kennt zwar den effizientesten Weg zum Ziel, aber das Ziel selbst kann sie nicht hinterfragen. Sie ist bloß ein Instrument.

Raphaela Edelbauer nimmt sich in »DAVE« wichtige Themen vor, die bisher erstaunlich wenig in der Literatur der Gegenwart thematisiert wurden. »DAVE« ist kein Roman für oder gegen Künstliche Intelligenz, er will weder Angst vor ihr machen noch sie verteidigen. Sondern ein komplexes Gedankenspiel, das Lust macht, über das Thema KI nachzudenken, und daran erinnert, dass es letztlich darum geht, ob wir technische Entwicklungen verwenden, um mehr Ausbeutung, Kontrolle und Normierung zu schaffen, oder um ein besseres Leben mit mehr Freiheit zu ermöglichen.

Raphaela Edelbauer: DAVE. Klett-Cotta, 432 S., geb., 25 €.

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