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Keine Rücksicht, kein Feingefühl

Mit der Corona-Impfkampagne hoffen Bewohner beliebter Metropolen auf die Rückkehr des Tourismus - nicht wenige leben von ihm. Andererseits werden sie sich aber auch wieder am Benehmen der Besucher stören

  • Tinga Horny
  • Lesedauer: 4 Min.

Corona zwingt die Welt innezuhalten. Das hat zur Folge, dass viele Einheimische sich ihre zuvor überlaufenen Städte zurückerobert haben. Overtourism hatte dazu geführt, dass in Amsterdam Einwohner über Lärm und Dreck vor der Tür klagten, in Dubrovnik zu jeder Stunde Tausende Gäste durch die Gassen drängten und riesige Kreuzfahrtschiffe vor dem Dogenpalast die Fundamente Venedigs bedrohten.

Dank des steigenden Tempos bei den Impfungen könnte sich die Pandemielage jedoch bald entspannen. Der Städtetourismus wird langsam, aber sicher zurückkommen. Es ist also absehbar, wann so mancher Stadtbewohner mit ein wenig Wehmut an die Zeit denken wird, als die Stadt nur ihm und seinen Nachbarn gehörte. Denn ganz ehrlich, Touristen sind gut fürs Geschäft, aber die meiste Zeit stehen sie im Weg herum.

Wann Urlauber nerven

Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Fremde noch ganz analog einen Stadtplan entfaltet oder autistisch auf sein Handy starrt. In jedem Fall wird er ruckartig stehen bleiben, um sich zu orientieren. Was er dabei vergisst, sind die hinter ihm gehenden oder die entgegenkommenden Passanten, die unterwegs sind, um schnurstracks von A nach B zu gelangen. Also zum Job, zum Einkaufen, zum Termin oder um die Kinder abzuholen. Noch schlimmer ist der Wunsch, mitten auf dem Gehsteig, auf der Ampelinsel oder in der Fußgängerzone ein Foto oder Selfie zu machen. Und zwar das perfekte, was bedeutet, minutenlang den Verkehrsstrom aufzuhalten. Umsichtige Stadtbesucher sehen sich zumindest um oder verdrücken sich in eine ruhigere Ecke, um niemanden zu behindern. Trottoirs, Fußgängerbrücken und -zonen in Großstädten verlangen oft ein Verhalten wie auf einer belebten Straße.

Noch etwas unterbricht den permanenten Fluss der Menschenmassen gehörig: auf der falschen Seite der Rolltreppe stehen. Die Regel ist ganz einfach: In Ländern mit Rechtsverkehr steht man auf der rechten Seite, und wo Linksverkehr herrscht, logischerweise links. Das ermöglicht es anderen, links bzw. rechts an einem vorbeizugehen. Die platzsparende Seitenposition auf der Rolltreppe ist in Städten wie London oder Moskau besonders wichtig, weil es dort extrem lange Exemplare gibt. Das heißt konkret, dass immer Eilige die ellenlangen Treppen hinunter- oder hinaufhetzen, um ihren Zug oder andere Anschlüsse noch zu erreichen. Falsch stehende menschliche Hindernisse werden höflich, oft aber unmissverständlich zur Seite gebeten.

Es ist Belästigung

Ein ewiges Ärgernis bleibt außerdem der Müll, den Touristen immer reichlich produzieren. Anwohner in sehenswerten Vierteln können ein Lied davon singen. Während es im Park noch Bänke mit Mülleimern in der Nähe gibt und bei schönem Wetter sich die Grünflächen als Sitzgelegenheiten anbieten, wird es schwieriger in reinen Wohnvierteln oder der Innenstadt. Nicht jeder Tourist kehrt mehrmals am Tag in ein Café oder Lokal ein, um sich zu verköstigen. Das ist nicht nur eine Frage des Reisebudgets, sondern auch der Zeit, die viele lieber mit Bummeln und Entdecken verbringen. Bleiben also nur das beliebte Sandwich und der Kaffee »to go« - und die Frage: Wo bitte jetzt sitzen und konsumieren?

Treppen jeder Art, Mauervorsprünge, private Hausbänke und Rasen sind willkommene Gelegenheiten, um sich niederzulassen. Allerdings fehlt es dort meist an geeigneter Infrastruktur, also Toiletten und Müllbehältern. Müde Stadtbesucher aber finden überall einen Platz zum Ausruhen und sind sich nicht immer im Klaren darüber, dass sie die Anrainer damit belästigen.

Noch schlimmer ist es, wenn sie dann ihre Reste einfach liegen lassen und Dinge tun, die kein Einheimischer machen würde. Ein Beispiel ist das beliebte Taubenfüttern - das ist ja nicht nur in Venedig lange so gewesen. Aber Hand aufs Herz: Wer füttert zu Hause Tauben, wenn es sich nicht gerade um wertvolle Brieftauben handelt, sondern um gierige Ratten der Lüfte?

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Dieses Problem hat die Stadtregierung von Venedig schon vor vielen Jahren erkannt und zeigt beispielhaft, wie man das Benehmen von Besuchern durch pekuniäre Sanktionen lenkt. Bereits seit Ende 2009 ist das Taubenfüttern verboten. Die Geldstrafe dafür kann bis zu 500 Euro betragen. Nicht ganz so teuer ist das Essen und Trinken auf dem Boden, am Ufer, auf Gehwegen, auf Denkmälern, Stufen und Brücken, aber auch auf Hochwasserstegen und Brunneneinfassungen. Das alles steht erst seit 2019 auf dem Index. Es wird mit 100 bis 200 Euro geahndet.

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