Debatten schaden der Produktivität

US-Firma verpasst Maulkorb

  • Susanne Lang
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wasser predigen, Wein saufen«, kommentiert »t3n«, das Magazin für digitale Wirtschaft, die Erschütterungen bei Basecamp. Das US-Unternehmen ist für seine gleichnamige Projektmanagementsoftware bekannt, vor allem aber für seine progressive Unternehmenskultur. Die Basecamp-Gründer Jason Fried und David Heinemann Hansson haben Bestseller über Mitarbeiterführung veröffentlicht. Vergangene Woche jedoch kündigten über 20 ihrer Beschäftigten, was Basecamp mehr als ein Drittel der Belegschaft kostete. Der Anlass war eine Order von Fried und Hansson: Ab sofort sind Gespräche über gesellschaftspolitische Belange, die keinen direkten Bezug zum Unternehmen haben, nicht mehr zulässig. Denn sie schaden der Produktivität.

Ursprung der Kündigungswelle war eine Mitarbeiterversammlung. In einer leidenschaftlich geführten Debatte wurde stundenlang gestritten, ob eine vor vielen Jahren von einigen Mitarbeiter*innen angelegte Liste der angeblich lustigsten Namen, die ihnen in ihrer Kundenbetreuungsarbeit begegnet sind, einfach nur schlechte Unternehmenskultur oder Ausdruck von Rassismus im Unternehmen ist. Denn einige der dort aufgeführten Namen waren asiatischen und afrikanischen Ursprungs und - so die Mutmaßung - nur deswegen angeblich witzig.

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Unstrittig war, dass diese Liste gelöscht wurde. Streitpunkt war die Einordnung der Liste - handelt es sich hier um einen Ausdruck einer rassistischen Ideologie, derer die betreffenden Mitarbeiter jetzt überführt wurden? Oder handelt es sich um schlechten Geschmack und ein unprofessionelles Kundenverhältnis? Im Kern ging es in der Debatte also nicht um Meinungsfreiheit, sondern Deutungsmacht: Ist der Wertekanon der Unternehmenskultur ein weißer Mainstream, der die Abgrenzung von lustig bis rassistisch nach dem Zeitgeist neu setzen kann? Oder sind diejenigen Ausgangspunkt der Bewertung, die immer die »Anderen« sind. Machtfragen lassen sich nicht gemeinsam auflösen, und so war es folgerichtig, dass der unterlegene Teil der Belegschaft das ehemals diverse Unternehmen verließ.

Die Unternehmensgründer Fried und Hansson hatten diesen Konflikt kommen sehen. Ihr hilfloser Versuch diesen zu befrieden, war, eine neue Unternehmensregel festzulegen und in einem Blogbeitrag zu veröffentlichen: keine Gespräche mehr über gesellschaftspolitische Belange. Wer das nicht gut finde, könne gern eine angebotene Abfindung nehmen und sich einen anderen Job suchen - man werde da nicht nachtragend sein.

Das Ergebnis war das Gegenteil einer Konfliktbefriedung: Die Empörung war groß, zumal es zum Markenkern von Basecamp gehört, ein fortschrittlich geführtes, links-liberales Vorzeigeunternehmen zu sein. Die Bücher von Fried und Hansson über neue Arbeitsorganisationsformen und Unternehmenskultur schafften es bis in die Bestsellerlisten der New York Times. Ihre Botschaft: Behandelt eure Mitarbeiter vernünftig und nicht wie kleine Kinder, dann werden sie glücklich und ihr erfolgreich. Doch nach dem Glück der Mitarbeitenden kam die Identifizierung mit dem Unternehmen und daraus erwuchsen offenbar Ansprüche, nicht nur Teil der Unternehmenskultur zu werden, sondern diese selbst bestimmen zu können. Damit war anscheinend das Ende des Wohlfühlkapitalismus erreicht.

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