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Katalanen fordern Regierungsbildung

Basis des Unabhängigkeitslagers setzt zerstrittene Parteien mit Großkundgebung unter Druck

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir fordern eine Regierung der 52 Prozent für die Unabhängigkeit.« So lautet das Motto bei der Großkundgebung in Barcelona am Sonntag. Damit soll Druck auf die zerstrittenen Parteien ausgeübt werden, eine Regierung zu bilden und Neuwahlen zu verhindern. Am 26. Mai läuft die Frist für die Regierungsbildung in Katalonien ab.

Zur Kundgebung ruft die mitgliederstarke »Katalanische Nationalversammlung« (ANC) auf. »Weder der soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche Notstand, in dem sich das Land sich befindet, noch die Ergebnisse der Wahlen geben Raum für Uneinigkeit«, erklärt der ANC. Dessen Präsidentin Elisenda Paluzie fordert »Verantwortungsbewusstsein und Großzügigkeit«. Das Wahlergebnis müsse umgesetzt werden, man müsse in Richtung Unabhängigkeit von Spanien voranschreiten. Im Februar konnten die drei Unabhängigkeitsparteien erstmals eine absolute Mehrheit der Stimmen hinter sich bringen, bei allerdings stark gesunkener Wahlbeteiligung. »Wir verstehen es nicht und ein guter Teil der Basis ist perplex, enttäuscht und sauer«, fasst Paluzie die Stimmung zusammen.

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Fast drei Monate nach den Wahlen sah es am vergangenen Wochenende sogar so aus, als seien Neuwahlen unabwendbar. Die ERC hatte den Verhandlungstisch mit der Partei des Exilpräsidenten Carles Puigdemont plötzlich verlassen. Während Sprecher von »Junts« (Gemeinsam) erklärten, ein Abkommen sei greifbar gewesen, begründete die ERC-Sprecherin Marta Vilalta den Abgang so: »Wir fühlen uns betrogen.«

Gestärkt durch den Druck der Basis ist der kleineren linksradikalen CUP eine Vermittlung zwischen der fast gleichstarken ERC und Junts gelungen, die sich einen Kampf um den Führungsanspruch leisten. Der wurde darüber verschärft, dass die ERC erstmals einen Sitz mehr als Junts erhielt. Mithilfe der Antikapitalisten wurde ein »Minimalabkommen« vereinbart. Es soll als Basis über eine Regierungsvereinbarung und für ein »großes nationales Abkommen für die Selbstbestimmung« dienen. Über die mit der Corona-Pandemie verbundenen Krise hinaus soll eine »Mauer zur Verteidigung der Grundrechte« errichtet und die »breite gesellschaftliche Mehrheit« Kataloniens »zugunsten einer demokratischen Lösung« des Konflikts mit Spanien vereint werden.

Von »reiner Rhetorik« spricht die angesehene Journalistin und ehemalige ERC-Abgeordnete Pilar Rahola: »Sie sollten uns nicht verarschen.« Es gebe längst ein großes Abkommen, weshalb ein Referendum durchgeführt wurde, »wo wir massiv abgestimmt haben«, und es dafür »ausgehalten haben, verprügelt zu werden«. Sie greift aber mit ihrer Analyse vor allem ihre frühere Partei an und spricht insgesamt von einer »lächerlichen und erbärmlichen« Lage.

Tatsächlich kann das neue Abkommen die massiven Widersprüche zwischen ERC auf der einen und Junts und CUP auf der anderen Seite nicht verdecken. So stützt die ERC die spanische Minderheitsregierung des Sozialdemokraten Pedro Sánchez in Madrid. Die versprochenen Gegenleistungen wie Verhandlungen zur Konfliktlösung und den Stopp der Repression hat Sánchez aber nicht erbracht. Vilalta hatte auch im nd-Gespräch vor 15 Monaten erklärt: »Wenn die Verhandlungen nicht vorankommen, gibt es keine Unterstützung von uns für nichts.«

Gewehrkugeln per Post. Die Spitzenkandidaten bei den Wahlen in Madrid sind Morddrohungen ausgesetzt

Um eine Koalition mit der ERC nicht ständig vor Zerreißproben zu stellen, fordert Junts ein umfassendes Abkommen und ein gemeinsames Vorgehen in Madrid, wo die Partei wie die CUP auf Konfrontation setzt. Pere Aragonés, der für die ERC Regierungschef werden soll, will den »Rat der Republik« nicht akzeptieren, der aus Brüssel die Politik in Katalonien »kontrollieren« wolle und hinter dem Puigdemont steht. Das weist der Sänger und Ex-Parlamentarier Lluís Llach »entsetzt« zurück. Llach ist führendes Ratsmitglied und bestreitet, dass Junts ihn bestimmt. Llach, der bei den Wahlen für die CUP geworben hatte, erklärte, der Rat könne und wolle eine Regierung nicht kontrollieren. Niemand solle den Rat als Ausrede nehmen, um die »Verhandlungen zum Entgleisen zu bringen«. Es sei ein »demokratisches Desaster«, dass nicht längst eine Regierung gebildet worden sei. Noch ist das Desaster nicht vom Tisch.

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