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Der leere Zuschauerraum

Blutleere Kunst: Ein Rückblick auf das Berliner Theatertreffen, das die darstellende Kunst auf den Bildschirm gebannt hat

Hat es das eigentlich im vergangenen Jahr gegeben: Theater? Also jenes auf den berühmten Brettern von Weltbedeutung und jenseits vom politischen Welttheater zwischen absurder Dramatik und Schmierenkomödie, dessen Zeugen wir auch in den letzten Monaten wie gewohnt werden durften? Wenig dürfte bei routinierten Theatergängern hängen geblieben sein zwischen Dauerblick auf den Bildschirm des Laptops und raren Besuchen bei improvisierten Open-Air-Veranstaltungen und noch rareren in den vertrauten Sälen mit sehr begrenzten Sitzplatzkapazitäten. Und doch muss Theater stattgefunden haben, haben doch die Berliner Festspiele auch in diesem Jahr wieder zum Theatertreffen eingeladen, wo die, laut Juryurteil, zehn bemerkenswertesten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum gezeigt werden. Selbstverständlich nur als filmischer Mitschnitt des Bühnenereignisses oder als Livestream-Spektakel.

Das Berliner Theatertreffen, seit 1964 im Westteil der Stadt ausgerichtet, ist eine Institution. Hier sieht ein interessiertes Publikum genau hin, was die deutschsprachigen Bühnen zu bieten haben. Vor allem ist es aber ein Treffpunkt des Theaterbetriebs: ein Sehen und Gesehenwerden. Regisseure, die etwas auf sich halten, wollen einmal mit einer Inszenierung eingeladen werden. Regisseure, die einmal dabei waren, wollen auf keinen Fall, dass es das letzte Mal gewesen ist. Damit wäre schon einer der - eher zweifelhaften - Verdienste des Festivals beschrieben: die Stärkung der Regieposition und ihre Erhöhung gegenüber anderen künstlerischen Berufen. Das zeigt sich auch in der Frauenquote, die seit vergangenem Jahr umgesetzt wird, die aber nur Regisseurinnen zu ihrem Recht verhelfen soll, Dramatikerinnen, Bühnen- und Kostümbildnerinnen, Schauspielerinnen und so weiter. hingegen nicht berücksichtigt.

»Vielleicht fielen uns Aufbruch und Neuanfang nie leichter als genau jetzt«, ließ in seiner diesjährigen Eröffnungsrede Thomas Oberender wissen, der Intendant der Berliner Festspiele, der selten um eine Phrase verlegen ist. »Das Theater musste in seinen Auftritts- und Erzählformen moderner und zeitgenössischer werden. Für die Kunst und das Theater kann das eigentlich nur einen sehr positiven und kräftigenden Schub bedeuten.« Was für ein Missverständnis! Theater, diese Kunstform, die doch immer zutiefst gegenwärtig ist, weil sie erst entsteht, wenn jemand auf der Bühne steht und ein anderer dabei zusieht, hat diesen vorgeblichen Erneuerungsschub durch die Corona-Pandemie genauso wenig gebraucht wie sonst jemand auf der Welt.

Einem Missverständnis erliegt Oberender auch deshalb, weil es ungehörig ist, über die vermeintlich positiven Auswirkungen des Virus auf das Theater zu sprechen, während für die an Bühnen Beschäftigten vor allem Unsicherheit herrschte. Und noch immer herrscht - angesichts noch zu erwartender Einsparungen. Es hätte sich gehört, weitaus intensiver darüber zu diskutieren, ob auch in diesem Jahr zehn Einladungen ausgesprochen werden müssen.

Die Transformation von Bühnenarbeiten auf den heimischen Bildschirm ist verständlicherweise nur mehr oder minder geglückt. Deutlich fällt die Romanadaption von Thomas Manns »Der Zauberberg« durch den Regisseur Sebastian Hartmann heraus, die aus dem Deutschen Theater in Berlin live übertragen wurde und auch den leeren Zuschauerraum zeigt. Hartmann, dessen Interesse sichtbar auch der bildenden Kunst gilt, hatte seine Inszenierung den neuen Gegebenheiten entsprechend umgearbeitet, und es wäre falsch, hier noch von einer gewöhnlichen Theaterarbeit zu sprechen. »Der Zauberberg« ist ein Stück avancierter Live-Video-Kunst, die die Stimmung aus der Mann’schen Romanwelt einzufangen versteht.

Eine monumentale Unternehmung ist »Name her. Eine Suche nach den Frauen+«, konzipiert und inszeniert von Marie Schleef sowie fünf Stunden lang getragen auf den Schultern der Schauspielerin Anne Tismer. Mit denkbar einfachen Mitteln werden die Biografien herausragender Frauen erzählt. Ein Akt feministischer Geschichtsschreibung. Gerade für solche performativen Ansätze ist das Video aber ein schlechter Ersatz, geht es doch offensichtlich auch um den Wunsch, dem Publikum unmittelbar etwas zuzumuten.

Der Theatertreffentrend der letzten Jahre, bevorzugt performative und stark experimentelle Inszenierungen einzuladen, scheint zumindest etwas rückläufig zu sein. Erzählwilliges Theater, das auf die Schauspieler und den Bühnentext vertraut, war mehrfach zu sehen: Max Frischs abgründige Moritat »Graf Öderland« in einer Koproduktion vom Theater Basel und dem Residenztheater München (Regie: Stefan Bachmann), eine nahezu heitere, in jedem Fall aber kurzweilige »Maria Stuart«, ebenfalls vom Berliner Deutschen Theater (Regie: Anne Lenk) und die Wiederentdeckung »Automatenbüfett« der zu Unrecht nahezu vergessenen österreichischen Autorin Anna Gmeyner vom Wiener Burgtheater (Regie: Barbara Frey).

Warum bleiben gerade diese Inszenierungen dennoch so blutleer? Die Theater, die es sich leisten konnten und wollten, zu agilen Fernsehproduktionsstätten zu werden, müssen mit den ansehnlichen Streamangeboten von Netflix und Amazon konkurrieren. Das Theater kann in so einem Kampf nur verlieren. Oder es besinnt sich zurück auf seine ganz eigenen Reize: lebendiges Spiel vor anwesendem Publikum in postpandemischen Zeiten zu sein, ein radikal regionales Kulturangebot zu schaffen, sich wieder als Teil der Öffentlichkeit zu behaupten. Das heißt, die Menschheitskonflikte auf die Bühne zu bringen und die Menschen damit nicht alleine vor dem Bildschirm zu lassen, sondern eine Diskussion erst anzustoßen.

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