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Die Genossen und die Genossenschaften

Eine Konferenz linksparteinaher Organisationen sucht Wege aus der Wohnungsnot

Es wird damit gerechnet, dass in den kommenden Jahrzehnten 5000 bis 10 000 Einwohner nach Cottbus zuziehen, berichtet Eberhard Richter, Linksfraktionschef im dortigen Stadtparlament. In zehn Jahren werden davon abgesehen, so Richter, 18 000 Senioren in Cottbus leben, die eine Rente unterhalb des Existenzminimums erhalten. All dies betrifft die Wohnungspolitik. Im Moment sei Cottbus mit kleinen, preisgünstigen Wohnungen sogar überversorgt, erklärt der Linke-Politiker. Es mangele aber an bezahlbaren Wohnungen für Familien. Beim größten Vermieter, der kommunalen Wohnungsgesellschaft, betrage der Leerstand acht Prozent, beim zweitgrößten, einer Genossenschaft, sogar 13 Prozent, so Richter am Samstag auf der Tagung »Wohnen in Brandenburg - Grundrecht oder Ware«, veranstaltet von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und vom Kommunalpolitischen Forum.

Mieten steigen nicht nur im Speckgürtel

Auf den Cottbuser Kommunalpolitiker reagiert Heinz Hillebrand, Linksfraktionschef in Wildau (Dahme-Spreewald): »Acht Kilometer vor den Toren Berlins, völlig andere Situation. Lange Wartelisten bei der städtischen Wohnungsgesellschaft und bei der Genossenschaft!« Da wäre sie also, die klassische Zweiteilung Brandenburgs in ein wachsendes Berliner Umland und einen schrumpfenden Rest?

Aber so einfach ist es nicht mehr. Das beobachten zumindest die Linke-Landtagsabgeordneten Isabelle Vandré und Sebastian Walter. Im Speckgürtel sind die Mieten sogar höher als in Berlin, Wohnungen seien dort noch schwerer zu finden. Darum ziehen Pendler vermehrt weiter weg, sofern es dort eine halbwegs akzeptable Zugverbindung in die Metropole gibt. Vandré und Walter nennen Templin und Eberswalde. In Templin betrage die Leerstandsquote - völlig untypisch für die Uckermark - jetzt unter einem Prozent. In Eberswalde seien die Bestandsmieten mit sechs Euro pro Quadratmeter noch niedrig. Bei Neuvermietungen werden aber zwölf Euro verlangt - dies zeige dann auch, wohin der Trend gehe.

»Der Kampf um sozialen Wohnraum ist in Brandenburg angekommen, schlussfolgert Julia Bär von der Luxemburg-Stiftung. Nicht umsonst überlegten Leute wie Holger Zschoge vom Potsdamer Netzwerk «Stadt für alle», eine Brandenburger Volksinitiative für einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild anzuschieben, wobei die Aktivisten durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im April aktuell eher ausgebremst sind.

Dass etwas getan werden muss, ist klar. Aber was ist möglich? Die Mietpreisbremse wäre eine Option - wenn man denn nicht aus dem Kreis jener Städte und Gemeinden Brandenburgs herausfällt, für die diese Bremse gilt, wie das für die Gemeinde Nuthetal (Potsdam-Mittelmark) zum Jahreswechsel der Fall war. «Traurig» nennt das Bürgermeisterin Ute Hustig (Linke). Sie spricht von «fadenscheinigen Begründungen». Immerhin liegt Nuthetal am Rand von gleich zwei Großstädten: Berlin und Potsdam. Entsprechend nachgefragt sind die wenigen Mietwohnungen in der von Eigenheimen dominierten Gemeinde. Ein kommunales Grundstück soll mit einer Kita und Wohnungen bebaut werden - prompt gründeten Anlieger eine Bürgerinitiative, die das Projekt verhindern möchte, damit es schön ruhig bleibt. Es gebe die Haltung: «Wir haben jetzt unser Grundstück und wollen nicht, dass nun noch andere herziehen.»

Bauen allein löst das Problem nicht

Bürgermeisterin Hustig und andere sind der Meinung, dass kommunale Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften am ehesten dazu taugen, langfristig bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Denn die Zahl der Sozialwohnungen habe sich seit 2015 halbiert, wie die Linke-Bundestagsabgeordnete Caren Lay erläutert. Viele sind in den 1990er Jahren gebaut worden, und nach 15 Jahren läuft die Belegungsbindung aus. Lediglich eine Milliarde Euro pro Jahr gebe der Bund für den Sozialwohnungsbau aus. «Wir haben immer zehn Milliarden Euro gefordert und mussten uns anhören, das sei unverantwortlich und wäre aus dem Fenster geschmissenes Geld», bedauert Lay. Dabei zeige ein Vergleich, wie wenig eine Milliarde Euro für die gesamte Bundesrepublik sei: Allein die Stadt Wien wende für den selben Zweck 750 Millionen Euro auf.

Der Berliner Soziologe Andrej Holm erläutert: «Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist größer als der Wohnraummangel insgesamt.» Deshalb sei Bauen allein nicht die Lösung. Der Wohnraum müsse gerechter verteilt werden. Denn es gebe einerseits Haushalte mit weniger als 20 Quadratmetern pro Person und andererseits Menschen, die 120 Quadratmeter für sich allein haben.

Dass man für neu gebaute Wohnungen anfangs wirklich elf bis zwölf Euro Miete pro Quadratmeter verlangen müsse, um sie zu refinanzieren, könnte Matthias Osterburg im Detail vorrechnen. Da er bei der Konferenz nicht die Zeit dafür hat, bittet er, ihm zu glauben. Vertrauenswürdig ist der Mann. Er war früher Landesschatzmeister der Linkspartei, jetzt ist er Kaufmännischer Vorstand der Wohnungsbaugesellschaft Brandenburg eG. Die Kosten eines Neubaus seien eine Hürde für die Gründung neuer Genossenschaften, sagt Osterburg. 7522 fertige Wohnungen hat seine Genossenschaft im Bestand. 1100 davon stehen leer, teilweise schon seit 20 Jahren. Sie wieder bewohnbar zu machen, koste für jede einzelne 25 000 Euro. Das müsse genau überlegt sein, auch wenn es Anfragen von Interessenten gibt. Es werden schließlich sowieso rund 350 Wohnungen pro Jahr frei. «Wir werden auch noch was abreißen müssen», befürchtet Osterburg.

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