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Die Bedrängte

Der antikommunistischen Schriftstellerin Monika Maron zum 80. Geburtstag

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 5 Min.

Originell wäre es nicht; aber kann es sein, dass Monika Maron, die heute 80 Jahre alt wird, der von ihr so glühend abgelehnten Deutschen Demokratischen Republik alles zu verdanken hat? Oder ist es im Gegenteil so, dass Marons Prosa auf einer Höhe operiert, die des Gegenstands gar nicht mehr recht bedarf? Zumal der Mensch in der Revolte als Gegenstand so universal ist, dass es im Grunde keine Rolle spielt, ob sich die Anklage gegen DDR-Funktionäre oder die Bonzen der westlichen Ordnung richtet?

Das sind so Fragen, und sie sind leicht beantwortet. Die Schriftstellerin Monika Maron, geboren 1941 in Berlin und 1988 aus dem Ostteil der Stadt nach Hamburg ausgereist, zuletzt auffällig geworden durch eine (sie sagt: absichtslose) Nähe zu einem rechten Kleinverlag und die Überzeugung, Genderwahn und Islamisierung seien jener Untergang des Abendlandes, an dem der Kommunismus gottlob gescheitert ist, ist eine Schriftstellerin mit Vergangenheit.

Marons Debüt »Flugasche« von 1981, das nur im Westen erscheinen konnte, ist ihr einziges gutes Buch, weil es, bei aller Staatsverdrossenheit, von einer DDR handelt, die noch am Leben ist und in der die Ich-Erzählerin - eine Journalistin im Zwist mit der Pressezensur - ihren melancholisch-patenten Realismus in eine Prosa überführt, die von Brigitte Reimann nicht weit genug entfernt ist, um ernstlich schlecht zu sein. Das Interesse im Westen dürften trotzdem vor allem die Schilderungen der Bitterfelder Chemiekatastrophik und der Zwänge des demokratischen Zentralismus stimuliert haben; und wie es allemal sympathischer ist, einem Lebenden das Nötige zu sagen, als ihm böse nachzurufen, ist »Stille Zeile sechs« (1991) nach der Wende nur mehr das, was man eine Abrechnung nennt. Der Roman soll es zwischenzeitlich zur Schullektüre gebracht haben, was sofort einleuchtet.

Dass die Ich-Erzählerin, wiederum eine Frau im Clinch, stellenweise nicht anders kann, als zu verstehen, was den hohen SED-Funktionär Beerenbaum, der ihr seine Memoiren diktiert, zu dem gemacht hat, was er (zumal im Schlechten) ist, ändert nichts an ihrer überaus bürgerlichen Verachtung für den realsozialistischen Staat und seine proletarischen Sachwalter. Beerenbaum, das Arbeiterkind, der »Professor mit Volksschulabschluss«, wie es mit dem Hohn der Gebildeten heißt - in ihrer Stammkneipe nennt sich eine Clique die »Lateiner« -, darf sich zwar verteidigen, aber seine Verteidigung, so plausibel sie ist, muss sich am Hass der Erzählerin brechen. Dass es ein reflektierter Hass ist, einer, dem das Hassen als solches immerhin suspekt wird, ändert nichts daran. Die Argumente des Gegners, dessen monströse Züge lustvoll ausgemalt werden, stehen zwar da, aber nur, um widerlegt zu werden; die Erzählerin hat das letzte Wort. Und dass sie von diesem Recht stets Gebrauch macht, vergibt eine dialektische Chance, oder besser: lässt sie mit verächtlicher Geste liegen. Im Letzten, bedeutet diese Geste, gibt es hier nichts zu reden, was immer im Detail von wem auch immer vorgebracht werden mag; und wenn das zu etwas gut ist, dann zur Klärung des Verhältnisses von Antikommunismus und Kunst, mindestens hier: Denn wenn Marons Werk von etwas verdorben wird, dann von jenem Antikommunismus, dem es sich verdankt.

Auf die Trennung von Erzählerin und Autorin ist zwar immer zu bestehen, aber bei Maron ist das Theorie, weil sich die Prosa so völlig in den Dienst der immer gleichen Ich-Erzählerinnen stellt, die - auf Kriegsfuß mit dominanter Männlichkeit - gute Feministinnen abgäben (und »Flugasche« wurde denn auch feministisch gelesen), wenn sie nicht zuallererst Systemfeindinnen wären. Und wie im Alter bekanntlich nichts besser wird, nimmt die Hauptfigur, die in »Animal triste« (1995) so alt ist, dass sie nicht mehr weiß, wie alt nun wirklich, kein Blatt mehr vor den Mund und berichtet im Rückblick von einer »als internationale Freiheitsbewegung getarnten Gangsterbande«, der es gelungen war, Osteuropa »von der übrigen Welt hermetisch abzugrenzen und sich als legale Regierungen der jeweiligen Länder auszugeben … In meiner Jugend habe ich ein Buch gelesen, es hieß nach einer Jahreszahl, neunzehnhundertundnochwas, in dem die Zustände, unter denen wir lebten, annähernd beschrieben waren, nur ging es bei uns sinnloser zu, was vermutlich aber nur an der Dummheit der Organisatoren lag … Ich habe nichts gegen Dachdecker, halte aber die Fähigkeit, Ziegel sachgemäß auf einem Dach zu befestigen, nicht für ausreichend, eine so komplizierte Formation wie einen Staat zu leiten, sei es auch nur in einer Diktatur; selbst Willkür bedarf auf Dauer einer ausgebildeten Intelligenz.«

Hier schafft sich Sprache keine Welt, die Welt ist all dor; und das künstlerische Problem ist, versteht sich, nicht die Tendenz der Meinung, sondern die Meinung als bekannte, fade, stur aufbereitete, ist der Mangel an Originalität, wie er in der »Stillen Zeile sechs« schon vorgebildet war: »Ich fragte, ob er wirklich glaube, dass Generationen von Menschen geboren werden, damit Kommunisten ihre Ideale an ihnen erproben dürfen«, und das war ja nicht mal FAZ-Feuilleton, das war der FAZ-Leserbrief.

Dass die Erzählerin zugibt, dass sie »in der Nazizeit« vielleicht selbst »Kommunist« geworden wäre, ist hier immerhin noch ein Widerhäkchen und hat die Pointe, dass Maron, berichtet Wikipedia, eine Weile als IM der Staatssicherheit geführt wurde. Aber mit dieser Ironie hat es sich dann auch, denn ironisch ist an Marons zutiefst klassenbewussten Romanen nichts; und wenn abschätzig von »Klasseninstinkt« die Rede ist, dann so, als gäbe es den in bürgerlich gar nicht. »Sie hatten ihr die Rolle einer Bedrängten zugewiesen, und wollte sie die nicht spielen, blieb ihr nur die Möglichkeit, sich mit der Rolle eines Zuschauers zu begnügen« (»Flugasche«) - eine Rolle, die Maron bald zugunsten der Bedrängten aufgeben wird. Also war Beerenbaums Haushälterin, damit es kein Vertun gibt, früher »Aufseherin im Frauengefängnis« und läuft eine ziemlich gerade Linie von der resignierenden Erzählerin des Debüts über ihre beleidigten Schwestern hin zu der sich vom Linksfaschismus verfolgt wähnenden Autorin von heute, die in ihrem jüngsten Roman »Artur Lanz« unter anderem die Angst vorm »Grünen Reich« verhandelt.

»Leute wie Sie haben mir mein Leben verdorben«, meldet die Erzählerin dem Bonzen Beerenbaum, diesem schlimmen Kleinbürger, dem es die SED-Diktatur erlaubt hat, das Herrschaftsverhältnis von Bourgeois und Prolet umzukehren, und die Ironie muss wiederum die nächste Ebene liefern: Denn Leute wie Beerenbaum haben der Schriftstellerin Monika Maron, dieser nicht à la Mosebach heiteren, sondern bloß verbissenen Reaktionärin, ihr Leben, so wie es aussieht, durchaus erst ermöglicht.

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