Mit zunehmender Härte

Vier Monate vor den Duma-Wahlen ziehen die russischen Behörden die Schrauben an

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 3 Min.

Wegen 50 Patronen für eine Makarow-Pistole: Die russische Polizei ermittelt seit Donnerstag gegen den russischen Oppositionspolitiker Dmitri Gudkow wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Der prominente Kreml-Gegner war am Dienstagabend festgenommen worden. Zuvor hatte der 41-Jährige, der fünf Jahre in der Duma saß und 2013 aus der zur Systemopposition zählenden Partei Gerechtes Russland flog, über eine Durchsuchung seiner Datscha berichtet. Auch Wohnungen mehrerer Familienmitglieder und ehemaliger Mitarbeiter wurden untersucht.

Was genau die Behörden dem Sohn des Ex-Duma-Abgeordneten und heutigen Oppositionellen Gennadi Gudkow vorwerfen, war zunächst unklar geblieben. Russische Medien berichteten über Vorwürfe im Zusammenhang mit einer Tante Gudkows, die die Miete für eine Immobilie in Moskau nicht mehr habe zahlen können. Am Donnerstag dann die Wende: Die Nachrichtenagentur Tass meldete den Fund der Makarow-Patronen in Gudkows Wohnung. Die Polizei nahm Ermittlungen auf. Der gut vernetzte Gudkow spielt zwar nicht in der gleichen Liga wie Alexej Nawalny, wurde nach seinem Ausscheiden aus der Duma aber zu einem der prominentesten Oppositionellen in Moskau. Im April kündigte er seine Kandidatur bei den Duma-Wahlen im Herbst an.

Bereits am Montag wurde der Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow beim Versuch der Ausreise nach Polen in einer aufsehenerregenden Aktion festgenommen: Polizisten stoppten in St. Petersburg das bereits rollende Flugzeug mit Piwowarow an Bord. Dem 39-Jährigen wird seine Arbeit für die Organisation Offenes Russland vorgeworfen, die er bis vor Kurzem leitete. Die Nichtregierungsorganisation wurde vom emigrierten Kremlkritiker Michail Chodorkowski in London gegründet und will zur Demokratisierung Russlands beitragen, unter anderem mit der Förderung junger Nachwuchspolitiker.

Offenes Russland wurde 2017 als unerwünscht eingestuft, löste sich zwei Jahre später auf, gründete sich neu und wechselte mehrmals die Rechtsform, um einer erneuten Einstufung als unerwünscht zu entgehen. Anfang des Jahres wurde der Druck durch die Behörden so stark, dass Piwowarow die Organisation auflöste, um deren Mitglieder zu schützen. Der Politiker wollte für die Duma kandidieren.

Auch Russlands prominentester Häftling steht weiter unter Druck der Behörden. Am Mittwoch wies ein Gericht eine Klage Alexej Nawalnys ab, ihn nicht länger als fluchtgefährdet einzustufen. Zuvor hatte er sich beklagt, mehrmals pro Nacht von Strafvollzugsbeamten geweckt zu werden. Dies sei Folter. Am 25. Mai, während die westliche Presse die Flugzeugentführung in Belarus verfolgte, wurden gegen ihn drei weitere Strafverfahren eingeleitet - unter anderem wegen der Beleidigung einer Richterin.

Abbas Galjamow stuft das Vorgehen der Behörden als Säuberung des politischen Raums vor den Duma-Wahlen ein. »2019 entledigten sich die Behörden der unerwünschten Kandidaten während des Wahlkampfes«, erinnert der Moskauer Politologe an die Regionalwahlen vor zwei Jahren. »In diesem Jahr haben sie sich entschieden, dies bereits vor Beginn der Wahlkampagne zu tun. Ziel ist es, alles so zu organisieren, dass die restriktiven Schritte des Kremls nicht so offensichtlich mit der Wahl in Verbindung gebracht werden können«, kommentiert der politische Analyst auf seinem Telegram-Kanal.

Zu dieser Einordnung passt auch ein Gesetz, das am Mittwoch von der Duma verabschiedet wurde. Diesem zufolge dürfen Personen, die mit zuvor als »extremistisch und terroristisch« eingestuften Organisationen zusammenarbeiten, bis zu fünf Jahren nicht mehr bei Wahlen für öffentliche Ämter kandidieren. Nach Ansicht russischer Oppositioneller zielt das Verbot auf Mitstreiter von Alexej Nawalnys Antikorruptionsfonds FBK. Ihre Teilnahme an den kommenden Duma-Wahlen solle offenbar verhindert werden.

Ein Moskauer Gericht verhandelt bereits über einen Antrag der Staatsanwaltschaft, Nawalnys Organisation als extremistisch einzustufen. Das auch als »Anti-FBK-Gesetz« bekannt gewordene Vorhaben muss nun noch von Präsident Putin unterzeichnet werden.

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