So typisch King

Der Serienadaption von Stephen Kings »Lisey’s Story« mangelt es an Tiefgang, originell ist sie aber

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Hardcorefans, also die richtig glühenden, sind für Außenstehende selbst dann kaum zu verstehen, wenn sie den Objekten ihrer Begierden bloß hinterherschmachten. Komplizierter hingegen wird es, falls Hardcorefans ihnen bis vors, ja sogar ins eigene Haus nachstellen. Sie heißen dann Stalker, sind also eher Fälle für die Polizei. Zum Glück jedoch selten so hartnäckig wie Jim Dooley. Der seltsame Mann mit dem wirren Blick verfolgt sein Idol schließlich noch über den Tod hinaus.

Weil ihm das Jenseits verschlossen bleibt, muss er sich allerdings der Witwe des getöteten Bestsellerautors Scott Landon im Diesseits widmen, um seiner zu gedenken. Was in diesem Fall dummerweise heißt: der seelisch labilen Frau mit aller Gewalt unveröffentlichte Manuskripte zu entreißen, die Lisey, so heißt sie, nicht herausrücken will. »Lisey’s Story« könnte demnach ein fernsehüblicher Psychothriller à la Hitchcock sein: Sonderling jagt Normalbürgerin, Normalbürgerin besiegt Sonderling, Geigen, Abspann, ab ins Bett - stammte die Vorlage nicht von Stephen King, der dem Achtteiler, zu sehen auf AppleTV+, auf eigenen Wunsch hin das Drehbuch geschrieben hat.

Wenn Dooley der Hinterbliebenen zwei Jahre, nachdem ihr Mann auf dem Gipfel des Erfolgs von einem anderen Stalker erschossen wurde, auf den Leib rückt, geht es drastisch zu. Nicht nur, dass sie tote Vögel im Briefkasten findet oder nächtliche Hausbesuche erhält. Nach drei Folgen liegt Lisey gefesselt vor ihrem Peiniger, der sie sodann mit dem Pizzaschneider foltert. Stephen King eben, also nichts für schwache Nerven, aber noch viel weniger für Freunde unterkomplexer Horrorgeschichten - führt der Täter (Dane DeHaan) sein Opfer (Julianne Moore) doch erst auf die Fährte vom Hauptstrang dieser sehenswerten Schauerroman-Verfilmung: Erst durch Dooleys Terror nämlich beginnt Lisey mit der verschobenen Trauerarbeit und stößt dabei auf Geheimnisse ihres Gatten (Clive Owen), die sie nicht nur zur real existierenden Traumwelt Boo’ya Mond führen, wo sich der Fantasy-Autor offenbar viele Inspirationen seiner Erzählungen holte. Auf dem schmerzhaften Weg der Erkenntnis voller Rückblicke in die Vergangenheit mehrerer Jahrzehnte wird zudem deutlich, warum ihre Schwester Manda (Joan Allen) ständig ins depressive Wachkoma fällt, inwiefern Scotts traumatisierende Kindheit dafür verantwortlich ist und was seine Schwägerin Darla (Jennifer Jason Leight) mit alledem zu tun hatte.

Reichlich Interpretationsspielraum des Abgründigen also, dem der chilenische Regisseur Pablo Larraín (»Jackie«) allerdings ausreichend Zeit zur Entfaltung lässt.

Beinahe 60 Minuten pro Folge lotet er virtuos die Seelenzustände seiner Protagonisten aus und begibt sich dabei genüsslich in menschliche Untiefen, die auch ohne Endmonster schon der reine Horror wären. Zur Beruhigung ausgewiesener Gothic-Fans: Natürlich kommt davon, wie so oft bei Stephen King, irgendwann ein besonders fieses zum Einsatz. Zur Beruhigung ausgewiesener Thriller-Fans: es spielt allenfalls die tragende Nebenrolle im zweiten Abschnitt der Serie. An der allerdings nicht alles originell ist.

Auch dieser psychotischen Horrorstory fehlt es ersichtlich an sozialkritischem Tiefgang. Während Furcht einflößende Fiktion mit Niveau vom zivilisationskritischen »Walking Dead« bis zum ikonografischen »Stranger Things« trotz aller Effekthaschereien fieberhaft nach Metaebenen sucht, begnügt sich der meisterkaufte Autor im populären Grusel-Genre mal wieder mit Gruseln um des Gruselns Willen. Nur: das gelingt auch dieser Version seines selbst erklärten Lieblingsbuches mit einer Souveränität, die ohne Taschenspielertricks Gänsehaut erzeugt.

Produziert von J. J.Abrams, der ansonsten außerirdische Spektakel wie »Star Wars« verantwortet, aber auch überirdische wie »Lost«, schafft es »Lisey’s Story« schließlich mit konventionellen Mitteln ungewöhnlich zu sein und umgekehrt. Typisch King eben.

»Lisey’s Story« auf AppleTV+

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