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Von Mücken und Menschen
Natürlich kann geschossen werden: gegen das tödlichste Tier der Welt
»Fortuna lächelt; doch sie mag / nur ungern voll beglücken; / schenkt sie uns einen Sommertag, / schenkt sie uns auch Mücken.« So lauten ein paar bekannte Verse von Wilhelm Busch. Doch während zu Buschs Lebzeiten die Schnaken noch einfach durch ein paar beherzte Schläge mit der flachen Hand aus der Welt zu schaffen waren, haben wir es heute schwerer.
Der fortgeschrittene Klimawandel sorgt für mildere Winter, extreme Temperaturen im Sommer und stärkere Regenfälle, also für ideale Lebensbedingungen für die Stechmücke. Die Folgen: Nicht nur nimmt die Zahl der Mücken drastisch zu, sie haben auch »ausgedehntere Aktivitätsperioden«, wie es die Medien in ihrer typisch verharmlosenden Manier formulieren. Auf Deutsch heißt das: Die Drecksviecher sind überall. Und sie sind in der Überzahl. Sie fallen in deine Wohnung ein, terrorisieren dich, trinken dein Blut, rauben dir den Schlaf und lösen gefährliche Viruserkrankungen aus. Mit großer Selbstverständlichkeit machen sie deine Küche zu ihrer Schnackselstube und dein Badezimmer zu ihrem Brutplatz. Bis schließlich neue und noch mehr Viecher schlüpfen und den Vorgang in potenzierter Form wiederholen.
Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht zur Abwechslung auch mal Tierarten aussterben sollten, die es verdient haben. Sicher ist jedenfalls: Bis jetzt sind es immer wieder die falschen Tierarten gewesen, die vom Erdboden getilgt wurden. Der possierliche Dodo, ein flugunfähiger Vogel, der im 17. Jahrhundert ausgerottet wurde, und das Quagga zum Beispiel, ein zebra-ähnlicher Vierbeiner, dessen letztes lebendes Exemplar 1883 seinen letzten Schnaufer tat, haben niemals jemandem etwas angetan.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Im Gegensatz zum Moskito: »Gestochen wird der Mensch übrigens nur von den Weibchen«, teilte kürzlich die österreichische Tageszeitung »Der Standard« mit. »Gelsenweibchen benötigen Proteine aus dem Blut von Säugetieren, um Eier zu produzieren.« Nur um das klarzustellen: Mit »Säugetieren« sind hier Sie und ich gemeint. Nicht nur an der erklecklichen Anzahl der juckenden und geröteten Schwellungen, mit welchen mein Körper mittlerweile übersät ist, sondern auch an der Unmenge der unregelmäßig auf meiner Schlafzimmerwand verteilten Blutflecken kann ich erkennen: Der Klimawandel ist mein Feind. Und ich bekämpfe ihn auf meine bescheidene Art.
Ich weigere mich, weiter als Proteinversorger für Vampirmücken zu dienen: Nachts, wenn es um mein Ohr summselt und brummselt und ich zum wiederholten Mal zu spät bemerke, dass ich schon wieder als Proteinquelle und Bluttankstelle missbraucht wurde, gehe ich auf Mückenjagd. Wer mich dabei beobachten könnte, würde einer denkwürdigen Szenerie ansichtig: ein von den Spuren des Alters gezeichneter Mann, ein uringelbes Taschenbuch in der Hand, bekleidet nur mit einem Paar Schlafshorts aus merzerisierter Baumwolle, die mit Bugs-Bunny-Motiven bedruckt sind, steht senkrecht im Bett, den manischen Blick starr zur Zimmerdecke gerichtet, sich in einer Art Trance befindend und leise vor sich hinmurmelnd. Dabei ertappe ich mich, wie ich dem Moskito zuflüstere: »Ich kriege dich, du Schwein.« Ich sage: Natürlich, die Stechmücken sind Schweine. Ich sage: Das Tier an meiner Zimmerdecke ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Und natürlich kann geschossen werden.
In Italien sind seit Jahresbeginn mindestens elf Menschen gestorben, nachdem sie sich mit dem von Stechmücken übertragenen West-Nil-Fieber infiziert hatten. »Stechmücken sind ursächlich für mehr als 800 000 Todesfälle pro Jahr; damit stellen sie das tödlichste Tier für den Menschen dar, mit weitem Abstand vor allen anderen Tieren (abgesehen vom Menschen selbst).« (Wikipedia)
Nun bin ich zwar nicht im Besitz einer Schusswaffe und eine solche wäre möglicherweise auch nicht das ideale Kampfgerät: Ihr Einsatz würde auf lange Sicht unschöne Spuren an meinen Wänden hinterlassen. Aber auf meinem Nachttisch liegt das oben bereits erwähnte uringelbe Buch (kostenloses Rezensionsexemplar) eines populären Axel-Springer-Knechts bereit. Es zu lesen, wäre zu viel verlangt. Aber es hat, bei richtig dosierter Schlagkraft, genau die richtige Dicke, die es braucht, um das Leben einer Stechmücke subito zu beenden. Zack! Nach erfolgreich verrichteter Tötung bleiben die sterblichen Überreste der blutsaufenden Insekten meist auf dem Buch kleben. Das geschieht ihnen recht. Bis ans Ende aller Tage werden ihre zerquetschten Leichname als Mahnmal für die ihnen Nachfolgenden dienen: Wer meint, in meinem Zuhause ungestraft schnackseln, summseln, stechen und morden zu können, endet auf dem Umschlag des Buchs eines Springer-Redakteurs.
Man sieht: Ich will die Viecher nicht nur töten, ich will sie zusätzlich demütigen.
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