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Handschellen statt Hilfeleistung

Nach Todesschüssen auf einen Palästinenser in Hamburg durch die Polizei bleiben viele Fragen offen

  • Reinhard Schwarz, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Umstände des Todes von Omar K., der am 28. Mai in Hamburg von Polizeikugeln getroffen wurde, sind weiterhin ungeklärt. Nach einem Polizeibericht, der wenige Stunden nach den Schüssen veröffentlicht wurde, habe der 36-Jährige einige Autofahrer mit einem Messer bedroht und sei auch auf die herbeigerufenen Polizeibeamten zugegangen. Trotz des Einsatzes von Pfefferspray und einem Taser, mit dem Personen durch Elektroschocks handlungsunfähig gemacht werden sollen, ließ sich K. angeblich nicht stoppen. Dabei soll er wiederholt »Allahua Akba« (sinngemäß: Gott ist der Großartigste) gerufen haben. Ein Polizeibeamter gab anschließend sieben Schüsse auf Omar K. ab.

Im zunächst veröffentlichten Bericht der Polizeipressestelle wird nicht erwähnt, dass der bereits Schwerverletzte gefesselt wurde. In Antworten auf Anfragen der Linksfraktion und der AfD räumte der Hamburger Senat ein, dass »der Mann nach Schussabgabe zunächst mittels Handfesseln gefesselt (wurde). Im Laufe der medizinischen Erstversorgung wurde die Fesselung gelöst.« Kurz darauf starb Omar K. am Tatort. Nach den Todesschüssen wurde die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) von der Staatsanwaltschaft beauftragt, das Geschehen zu untersuchen. Ermittelt werde laut Senat »wegen des Anfangsverdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge«. Den Angaben des Senats zufolge stammte Omar K. aus dem Libanon, besaß die »palästinensische Volkszugehörigkeit« und lebte seit 2010 in Deutschland als Flüchtling.

Unbeantwortet bleibt weiterhin die Frage, warum es einer größeren Gruppe von bewaffneten Polizisten nicht gelang, den Mann mit anderen Mitteln zu stoppen. Zumal die Beamten durch eine Gruppe von Mitgliedern eines Polizeisonderkommandos des Landeskriminalamts (LKA) 24 verstärkt wurde. Grundsätzlich gilt bei staatlichem Vorgehen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Gemeint ist damit, dass das jeweils mildeste Mittel anzuwenden ist, um zu einem Erfolg zu kommen. Ob das mildeste Mittel in diesem Fall der Tod durch sieben Schüsse war, bleibt zweifelhaft.

Nach Recherchen der »Taz« habe Omar K. nach Zeugenaussagen weder »Allahua Akbar« gerufen noch Autos beschädigt und niemanden bedroht. Der später Getötete habe demzufolge beim Überqueren der Straße nach einem Auto getreten, dieses aber nicht beschädigt. Dieser Autofahrer habe möglicherweise die Polizei alarmiert, sei aber weitergefahren. K. sei nach dieser Darstellung auf dem Weg zu einem Dealer gewesen, um dort Marihuana zu kaufen. Warum aber die ganze Situation später eskalierte und wie das Messer in die Hände des Palästinensers geriet, bleibt weiterhin rätselhaft. Auch zwei existierende Handyvideos zeigen nicht das eigentliche Geschehen. Ebenso undurchsichtig sind die Ereignisse nach dem Eintreffen des LKA-Trupps, der nach Polizeiangaben »zufällig« in der Nähe war. Ein Beamter dieser Einheit setzte den Elektroschocker ein, der aber angeblich nicht zum Erfolg führte. Danach kam es zu den Todesschüssen. Bei der Untersuchung der nahe gelegenen Wohnunterkunft von Omar K. seien keine Hinweise auf eine islamistische Gesinnung des Getöteten gefunden worden.

Eine Senatsanfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Denis Celik von der Linkspartei habe nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen, erklärte dieser: »Die Senatsantwort auf meine Anfrage war leider inhaltlich sehr dürftig. Ich habe den Eindruck, dass hier von offiziellen Stellen gemauert wird. Dass der Schwerverletzte nach den Schüssen noch gefesselt wurde und diese erst gelöst wurden, nachdem Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet wurden, finde ich höchst bedenklich. Das Thema soll im nächsten Innenausschuss der Bürgerschaft behandelt werden, der tagt allerdings erst wieder nach der Sommerpause im August.«

Laut Pressestelle der Staatsanwaltschaft liegt noch kein Obduktionsbericht vor. Zur Frage des Schusswaffengebrauchs durch die Polizei verwies die Pressestelle auf das »Hamburger Sicherheits- und Ordnungsrecht« sowie auf das allgemeine Notwehrrecht laut Strafgesetzbuch (StGB). Eine Tat ist demnach nicht rechtswidrig, wenn diese durch »Notwehr geboten« war.

Mittlerweile hat sich eine Initiative »Gerechtigkeit für Omar« gebildet. Diese hatte dazu aufgerufen, am vergangenen Samstag Blumen am Tatort sowie vor dem Polizeipräsidium einen schwarzen Kranz niederzulegen. Die Initiative, die von »islamophober Stigmatisierung« spricht, kritisiert die Polizei, die es unterlassen habe, beruhigend auf den Palästinenser einzuwirken. Als bekannt wurde, dass der später Getötete im schleswig-holsteinischen Itzehoe 2020 wegen eines Sexualdelikts zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt worden war, wurde dies von der Boulevardpresse groß aufgemacht. Die Initiative erklärte hierzu: »Dies soll offensichtlich in der Öffentlichkeit die Kritik an der Hamburger Polizei relativieren lassen, Omar das Mitgefühl der Öffentlichkeit zu entsagen.« Omar K. wurde nach Informationen der Initiative bereits am Dienstag vergangener Woche von Familienangehörigen im nordrhein-westfälischen Datteln beerdigt.

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