Die Sterne von Nummer 175

Unter der Museumsinsel liegt nun Berlins jüngster U-Bahnhof

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die regulären Fahrgäste der U5 wirkt es wie eine kleine Betriebsstörung, für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Landespolitik ist es ein großer Moment. Um kurz nach 10 Uhr – mit gebührenden zwei Minuten Verspätung – hält am Freitag der Eröffnungszug am Bahnhof Museumsinsel, dem 175. im Berliner Netz. Der speziell beklebte Zug ist allerdings nur als Fotomotiv gedacht. Nach nd-Informationen wäre der Einsatz fast gescheitert, denn Sprayer hatten ihn mit einem rund 20 Quadratmeter großen Graffiti »gebombt«, wie es im Szenejargon heißt. Doch die Reinigung gelang rechtzeitig.

Die Beklebung macht Werbung für den Sternenhimmel aus 6662 Lichtpunkten, den Bahnhofsarchitekt Max Dudler für die Gewölbe über den Gleisbereichen entworfen hat. »Unser architektonisches Thema ist vom Fehlen des natürlichen Lichts unter der Erde abgeleitet: die ewige Nacht. Darum haben wir die zwei gewölbten Bahnsteigtunnel in Anlehnung an das historische Bühnenbild für die ›Zauberflöte‹ von Karl Friedrich Schinkel in einem leuchtenden Ultramarinblau gestaltet«, erklärt der Architekt zur Eröffnung. Das sei zugleich »eine Reverenz an den klassizistischen Geist, der die Gebäude an diesem Ort in der Stadt prägt«.

Der U-Bahn-Bau regt die Fantasie an
  • »Die U-Bahn soll auch in die Außenbereiche«, kündigt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die auch BVG-Aufsichtsratsvorsitzende ist, bei der Eröffnung des Bahnhofs Museumsinsel an. Damit liegt sie auf einer Linie mit SPD, CDU und FDP in der Stadt. Seit Jahren fordern sie die Verlängerung von U-Bahnlinien.
  • Erst im Juni debattierte die Bezirksverordnetenversammlung Pankow über eine neue U10 vom Alexanderplatz Richtung Nordosten. Die Bezirks-CDU forderte sogar den Bau bis an die Stadtgrenze in Buch. Die SPD hält das Projekt für unrealistisch, will aber Tunnel bis Weißensee. Die Anträge scheiterten an der Ablehnung durch Linke und Grüne im Bezirk.
  • Eine Ende 2020 vorgelegte Studie von Umwelt- und Verkehrsinitiativen bescheinigt dem aufwendigen U-Bahn-Bau bei recht geringen Fahrgastzahlen eine verheerende Klimabilanz.
  • Am realistischsten scheint derzeit die Verlängerung der U3 um eine Station von Krumme Lanke bis zum Mexikoplatz mit Anschluss an die S1. Entschieden werden soll darüber allerdings frühestens im Jahr 2023.

BVG-Chefin Eva Kreienkamp lobt die Station, für die jährlich rund 15 000 Fahrgäste erwartet werden, als »Repräsentanzbau, wie wir uns U-Bahnhöfe in Zukunft vorstellen«, und hebt die Rolle von Jörg Seegers, dem Technikchef der BVG-Projektgesellschaft hervor, der wie einige andere auch »ihr Leben dem Projekt gewidmet« hätten. BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt verweist darauf, dass es keinen einzigen schweren Arbeitsunfall bei den Bauarbeiten gegeben hat. »Das ist bei Bauvorhaben dieser Größe nicht üblich.«

Der neue Bahnhof liegt an der namensgebenden Museumsinsel, unterhalb des Spreekanals. Wegen der besonderen Lage konnten nur die Zwischengeschosse mit offenen Baugruben entstehen. Der gesamte Bahnsteigbereich musste im Schutz eines riesigen Eiskörpers bergmännisch gebaut werden. Mithilfe aufwendiger Vereisungsbohrungen entstand der 28 000 Kubikmeter große Frostkörper. Das hatte seinen Preis: Rund 125 Millionen Euro waren für den Bau kalkuliert, mehr als ein Viertel der Gesamtkosten der Verlängerung vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor, die wohl bei rund 540 Millionen Euro liegen werden. Die 2009 zunächst als U55 in Betrieb gegangene Stummelstrecke zwischen Brandenburger Tor und Hauptbahnhof schlug bereits mit 320 Millionen Euro zu Buche.

An der Oberfläche vor dem Humboldt-Forum sind die Pflasterarbeiten noch nicht abgeschlossen, das ist aber nicht mehr Aufgabe der BVG. Doch am Hauptbahnhof wird wieder gearbeitet. Der Bau von Wendegleisen hat kürzlich begonnen, berichtet Technikchef Seegers. »Wann genau die Wendeanlage fertig wird, kann ich nicht sagen«, erklärt er.
Gegen 11 Uhr räumen die Beschäftigten des BVG-Sicherheitsdienstes die Baustellenabsperrungen an den Eingängen beiseite. Die ersten Interessierten steigen hinab zum Sternenhimmel.

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