Die Sache mit der richtigen Inflationsrate

Nach der Änderung ihrer geldpolitischen Strategie dürfte die Europäische Zentralbank eine etwas stärkere Teuerung hinnehmen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist derzeit dabei, ihre Geldpolitik umzukrempeln. An diesem Mittwoch soll über die Einführung eines digitalen Euro entschieden werden. Allerdings beginnt erst eine mehrjährige Testphase, so dass sich für den Verbraucher im Alltag vorerst nichts ändern wird.

Bei einem weiteren Beschluss sieht es anders aus: Vergangene Woche hatte der EZB-Rat eine Änderung des Inflationszieles beschlossen. Preisstabilität, das oberste Gebot für die Frankfurter Währungshüter, lag bisher bei »unter, aber nahe zwei Prozent«. Künftig verfolgt die EZB ein »symmetrisches Zwei-Prozent-Inflationsziel«. Das heißt, dass Abweichungen nach unten genauso unerwünscht sind wie nach oben. Dies gehe unter Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend leicht über dem Zielwert liegen werde, teilte die Notenbank mit.

Seit der Finanz- und vor allem seit der Eurokrise hat sich geldpolitisch vieles verändert. Vor allem dreht die EZB ein immer größeres Rad: Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen, langfristige Ausleihungen und eine Politik des »Forward Guidance« - mit eigenen Prognosen nimmt Zentralbankpräsidentin Christine Lagarde Einfluss auf die Zukunftserwartungen der Akteure auf den globalen Finanzmärkten. Die Bilanzsumme der EZB ist seit der Finanzkrise von 1,5 Billionen auf gut 7 Billionen Euro gestiegen, was etwa dem Wachstum bei der US-amerikanischen Federal Reserve entspricht.

Mit der Veränderung ihrer Strategie hatte sich die Euro-Zentrale in den vergangenen 18 Monaten in zahlreichen Seminaren, Diskussionen und Sitzungen beschäftigt. »Leitgedanke«, so Lagarde, »war dabei, dass jeder Stein umgedreht werden muss.« Trotz der billionenschweren Anleihekäufe sollen aber die Leitzinsen »das bedeutendste geldpolitische Instrument« bleiben. Im März 2016 hatte die EZB ihren Leitzins erstmals auf 0,0 Prozent gesenkt. Dort verharrt er seither. Dies erleichtert es den Regierungen, die Schuldenlast aus Finanzkrise und Corona-Pandemie zu schultern. Der historisch nied-rige Leitzins sorgt auch für niedrige Zinssätze der Banken und Sparkassen. Was die Wirtschaft ankurbelt, Arbeitsplätze sichert und es Häuslebauern erleichtert, sich ihren Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. Die Kehrseite sind stark steigende Vermögenspreise und boomende Börsen. Investoren und Fonds verschulden sich zu ex-trem günstigen Konditionen und legen dieses Geld in Immobilien und Aktien an.

Immerhin modernisiert die EZB nun auch ihre Inflationsmessung. Die zuletzt vielerorts heftig gestiegenen Wohnungskosten werden stärker in die Preisberechnung einbezogen. Auch die weitreichenden Folgen des Klimawandels werden künftig in einem »ambitionierten« Maßnahmenplan berücksichtigt.

Das neue Inflationsziel bereitet höheren Teuerungsraten den Weg, sind viele Analysten überzeugt. Außerdem werde es der EZB-Rat noch leichter haben, in den kommenden Jahren die extrem lockere Geldpolitik und die Anleihekäufe fortzuführen. »Der ausdrückliche Verweis, dass gegebenenfalls für eine Übergangsphase eine moderate Zielüberschreitung hingenommen werden muss, schwächt die Verbindlichkeit des Ziels als Obergrenze weiter ab«, meint Friedrich Heinemann, Ökonom am ZEW Mannheim. Milder gestimmt ist der Sparkassenverband DSGV. Es sei »positiv«, dass die EZB weiter grundsätzlich die Zwei-Prozent-Marke anvisiere. Im Vorfeld hatten noch deutlich höhere Zielraten im Raum gestanden. Die bankkritische Initiative Finanzwende kritisiert allerdings, dass das Risiko durch Schattenbanken und die Frage der Finanzmarktregulierung von der EZB bislang nicht thematisiert worden seien. Dabei spielten Hedgefonds und Vermögensverwalter eine immer größere Rolle.

Wegen der Bedrohung durch die Delta-Variante des Coronavirus ist Lagarde hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung nur »vorsichtig optimistisch«, wie sie am Montag in einem Interview mit Bloomberg TV sagte. Kurzfristig dürfte die EZB daher die Inflationsrate über das Ziel hinausschießen lassen. Im Mai lag sie im Euroraum bereits bei durchschnittlich 2,0 Prozent, in Ländern wie Deutschland aber ein Stück darüber. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, war die Rate im Juni etwas rückläufig, lag aber immer noch bei 2,3 Prozent. Die Knappheit bei Computerchips und teures Benzin trieben die Preise weiter. Dennoch erwartet die EZB auf »mittlere Sicht«, also 2022, eine Inflationsrate von 1,5 Prozent, das wäre zu niedrig. Die erste geldpolitische Sitzung des EZB-Rats, in der die neue Strategie zur Anwendung kommt, findet nächste Woche statt.

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