Treffen sich drei Menschen, droht eine Katastrophe
Bitterkeit, Lügen und Enttäuschung, aber auch Liebe bisweilen: Die Kurzgeschichten von Danielle McLaughlin
Ganz am Ende dieses Buches schaut eine Frau in die Sterne: »Aus der Entfernung sahen sie kalt aus, starr und schön, aber sie hatte irgendwo gelesen, dass sie sich ständig bewegten, zusammengehalten nur durch ihre eigene Schwerkraft.« Die Frau denkt hier natürlich über sich selbst nach, über ihren Platz im Universum. Ihre eigene Schwerkraft bindet sie an ihren Ehemann, der sie missachtet, und an ihre verantwortungslose Tochter, die stets nur an sich denkt.
Kate, so heißt die Frau unter den Sternen, trägt schwer am Gelebtem; sie ist zu schwach für einen Ausweg - sie hat ihn gerade erst ausgeschlagen, als sie die Avancen des Mannes ignorierte, mit dem die Tochter liiert ist. Es gilt, kein Risiko mehr einzugehen, die Umlaufbahn zu halten, weniger aus Furcht vor Verlust denn aus Müdigkeit.
Auch in einer Short Story des Bandes »Dinosaurier auf anderen Planeten« der irischen Autorin Danielle McLaughlin steckt eine Figur zurück, um für die Familie da zu sein. Ein Ehemann sorgt sich um seine psychisch kranke Frau, befürchtet, sie könnte zusammenbrechen, das Kind vernachlässigen oder Schlimmeres tun. Als sie nicht ans Telefon geht, fährt er panisch von der Arbeit zurück nach Hause und riskiert seinen Job. Er trägt die Last dieser Familie, muss für Stabilität sorgen, wo sonst keine zu erhoffen ist. Und doch darf man sein Schicksal als glücklich verstehen, auch wenn keine Besserung in Sicht ist. Denn dieser Vater und Ehemann liebt und kann daher in allem, was er auf sich nimmt, doch einen Sinn entdecken.
In den meisten anderen Geschichten trifft man hingegen auf viel Bitterkeit, auf Lügen und Enttäuschung. Begegnen sich hier zwei Menschen, ist die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen groß. Sind es drei oder noch mehr, droht bereits eine Katastrophe. Sobald jemand eine Entscheidung trifft, die bisherige, sichere Umlaufbahn verlässt, begibt er sich in die Fremde. Wer sich nicht mit Härte schützt, droht verloren zu gehen.
So etwa die jüngst von ihrer Partnerin verlassene Frau, die im tragikomischen Text »Kein Oleander« in den Urlaub nach Italien fährt. Eine zufällige Bekanntschaft lässt sie von ihrer Wut und ihrer Enttäuschung über die Trennung absehen. Sie, die glaubte, von Liebe nichts mehr wissen zu wollen, verliebt sich unglücklich in ihre deutlich jüngere Sitznachbarin im Zug. »Heute trug sie ein Neckholder-Top, und da war wieder das schöne Schlüsselbein: so leicht zu brechen und so exponiert, dass Lily am liebsten die Hand ausgestreckt, am Stoff gezogen, ihn darüber gebreitet und dieser jungen unwissenden Frau gesagt hätte, dass alles, was zu sehen ist, auch zerbrochen werden kann.«
Nicht alle Texte erreichen dieses sprachliche und analytische Niveau. In der Auftakt-erzählung wimmelt es vor Klischees. Ein pubertierendes Mädchen dreht durch, während ihre Mutter wahnsinnige Angst hat, von ihrem Mann verlassen zu werden. Sie gebärdet sich denn auch wie eine Desperate Housewife: »In anderen Nächten hatte sie Gegenstände in den Garten geschafft, Gegenstände, die sie am Tag ausgewählt hatte: Zierrat, Speisegeschirr, eine aus dem Urlaub mitgebracht Muschel. Sie ging bis ans Grundstücksende, wo Philip sie nicht hören konnte, und schmetterte die Sachen gegen den Zaun.« Wenn ihr Mann nach Hause kommt, zischt er noch im Mantel ein Bier und sagt Sätze wie: »Okay, ihr Mädchen habt das anscheinend unter Kontrolle.« Das klingt dann doch eher nach der Einübung von Stereotypen als nach dem Versuch einer genauen Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen.
Interessanter wird es immer dann, wenn McLaughlin Figuren aus unterschiedlichen sozialen Schichten aufeinandertreffen lässt. So etwa in einem Text, in dem die junge Studentin Sarah mit ihrem Freund Jonathan an die nordirische Küste zu dessen Familie fährt: raue Menschen, Fischerseelen, die so gar nicht einzuordnen sind in das gediegene Leben jener urbanen Intellektuellen, zu denen die Studentin sich selbst und auch ihren Freund zählt. Doch bald verwandelt sich auch dieser wieder in einen Fischer. In der Nacht macht er mit seinem Bruder Jagd auf Robben. So düster McLaughlin sie erzählt, entbehrt die Geschichte nicht einer gewissen Komik. Ausgerechnet Robben, die süßen Dinger!
Nicht eben subtil führt die Autorin den Clash von Stadt und Land, zwischen der behüteten Existenz in Bildungsinstitutionen und einem Leben vor, das von Armut und, daraus resultierend, moralischer Robustheit geprägt ist. »Sie haben die Netze zerbissen und den Fang vernichtet«, erklärt Jonathan lapidar seine Tat.
Je ärmlicher die Figuren in diesem Band, sei es ökonomisch oder seelisch, umso schneller haben sie stets eine Antwort parat. Immer wissen sie sofort, was zu tun ist, weil eben nur eine einzige Handlungsoption besteht. Auch Entscheidungsfreiheit erfordert Ressourcen, man muss sie sich leisten können.
Danielle McLaughlin: Dinosaurier auf anderen Planeten. A. d. Engl. v. Silvia Morawetz. Luchterhand, 256 S. geb., 20 €.
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