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Der wunde Punkt der Klimapolitik

Lasse Thiele über die notwendige Begrenzung der internationalen Transportinfrastrukturen

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Wochenende blockierten 80 Menschen kurzzeitig eine Einfahrt zum Frachtbereich des Flughafens Leipzig/Halle (LEJ). Das Frachtvolumen dort wächst rasant, ein Ausbau ist geplant. Eine Initiative vor Ort wehrt sich seit langem gegen nächtlichen Lärm und Umweltschäden. Nun kamen ihr Klimaaktivist*innen zur Hilfe. Deren Ansage: Flughafenausbauten sind mitten in der Klimakrise ein No-Go. Obwohl die Aktion unter dem Motto cancelLEJ zunächst als Versammlung galt, mussten die Beteiligten zur Haftrichterin: DHL, das dort einen seiner wichtigsten globalen Umschlagsplätze betreibt, droht dünnhäutig mit einer Millionenklage.

Die Aktion traf in jeder Hinsicht einen wunden Punkt. Denn neben Kohle, Erdgas und Autos zeichnet sich hier ein weiterer Konfliktort der Klimakrise ab: globale Transportinfrastrukturen. Der Gesamtanteil des Schiffs- und Flugverkehrs an der Erderhitzung wird auf knapp zehn Prozent beziffert - durch CO2, weitere Schiffsabgase sowie die oft übersehenen zusätzlichen Flug-Klimaeffekte wie Wolkenbildung. Das mag noch überschaubar klingen, doch die Emissionen beider Wachstumsbranchen sollen allen Projektionen zufolge in der wachsenden Weltwirtschaft bis 2050 rasant ansteigen. Gleichzeitig soll dieselbe Weltwirtschaft bis 2050 klimaneutral werden.

Trotz dieses Widerspruchs gedeihen beide Sektoren in einer global organisierten Verantwortungslosigkeit: Treibhausgasausstoß aus internationalem Luft- und Seeverkehr, also ein Großteil des Gesamtaufkommens, geschieht bis heute im klimapolitischen Nirwana. Keine Regierung will sich Emissionen anlasten, die nicht eindeutig ihrem Staatsgebiet zuzuordnen sind. Der Pariser Klimavertrag schweigt dazu, die Indus-trien glänzen durch vage Versprechungen. Nun etabliert die lobbynahe UN-Luftfahrtorganisation ICAO einen Zertifikatehandel, um den Zuwachs (!) an Flugemissionen virtuell auszugleichen, zu Dumpingpreisen und erst ab 2027 bindend. Kein glaubwürdiger Weg in eine Nullemissionswelt. Selbst die zertifizierten Einsparungen in Klimaprojekten erweisen sich als massiv übertrieben. Das Seefahrt-Pendant IMO grübelt immer noch.

So will die Industrie Zeit gewinnen, bis technische Alternativen bereitstehen. Nur: Ausgerechnet in diesen Sektoren sind keine klimaschonenden Lösungen in Sicht, die innerhalb des knappen klimapolitischen Zeithorizonts flächendeckend einsetzbar würden. Wer nicht bloß auf zukünftige Technikwunder zur Klimarettung spekulieren will, müsste konsequenterweise erst einmal das Verkehrsaufkommen drastisch reduzieren.

Das bedeutet Konflikte. Tatsächlich entfällt ein Großteil des globalen Flugverkehrs auf eine kleine Elite, während die allermeisten Menschen noch nie ein Flugzeug bestiegen haben. Gerade in Europa genießen allerdings breite Mittelschichten die verschiffte Warenfülle und sogar persönliche Langstreckenmobilität. So oder so: Die globale Ungleichheit der Lebensverhältnisse, die Privilegien, die 10 bis 15 Prozent der Weltbevölkerung auf Kosten des Rests ausleben und die nicht nachhaltig auf alle ausdehnbar wären, zeigen sich hier besonders dramatisch.

Doch diese Konsumperspektive unterschätzt die Konfliktdramatik noch: Jene Transportinfrastrukturen sind schließlich unverzichtbare Lebensadern des globalen Kapitalismus. Wie schon Marx und Engels ehrfürchtig beschrieben, liegt es in der DNA des Kapitals, die Erde auf der Suche nach Rohstoffen, Arbeitskräften, Absatzmärkten und Kostenvorteilen bis zum letzten Quadratzentimeter zu erschließen und sie dabei durch immer schnellere Transportmittel praktisch zu verkleinern. Deren starke Begrenzung oder Verlangsamung und die daraus folgende Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen widerstreben der Verwertungslogik. Deglobalisierung wäre fürs System kaum verkraftbar, und sei es nur - technikoptimistisch gedacht - für ein paar Übergangsjahrzehnte.

Der notwendige klimagerechte Rückbau dieser Sektoren wäre also ein antikapitalistisches Projekt, weswegen »grüne« Wachstumsmodelle sie stets ebenso ausklammern wie die internationale Politik. Gegen die Durchhalteparolen der Industrie fordern Gruppen wie »Am Boden bleiben« und jetzt auch die Leipziger Aktivist*innen den Systemwandel - und müssen sich dafür mit dem Logistikriesen DHL anlegen.

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