Brillanter Neuling

Jonas Vingegaard ist der Aufsteiger dieser Tour de France

  • Tom Mustroph, Luz Ardiden
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor drei Jahren wühlte Jonas Vingegaard noch mit der Hand in Boxen mit Eis herum. Ein Video zeigt ihn, wie er in der Fabrik eines Co-Sponsors seines damaligen Teams Fisch verpackte. Die Coolness vom einstigen Nebenjob hat er sich bewahrt. Bei der diesjährigen Tour de France mauserte sich der 24-Jährige zum größten Herausforderer des Gesamtführenden Tadej Pogacar. Bei seinem Rennstall Jumbo Visma ist man überzeugt: Der Däne kann eines Tages sogar die Frankreich-Rundfahrt gewinnen. Und auch der überragende Slowene Pogacar nimmt ihn als Dauerrivalen für die Zukunft ernst.

Sepp Kuss, wichtiger Berghelfer des ausgestiegenen Primoz Roglic und selbst mit einem Bergetappensieg bei dieser Tour geschmückt, staunt nicht schlecht über seinen Ersatzkapitän. »Ich wusste schon immer, dass er sehr talentiert ist. Ich habe ihn aber mehr für einen Fahrer für die giftigen kurzen Anstiege gehalten«, meint der US-Amerikaner. »Aber bei jedem Rennen, das Jonas Vingegaard fährt, wird er in den langen Anstiegen immer besser.« Der so hoch Gelobte fuhr sich beim Anstieg auf den Mont Ventoux ins Rampenlicht. Da distanzierte er sogar Pogacar, den Dominator dieser Tour. Er fuhr den Berg in einer Zeit, die ihn auf Platz 39 der ewigen Ventoux-Bestenliste führte, einen Platz und neun Sekunden besser als sein dänischer Landsmann Michael Rasmussen 2004. Rasmussen, einst wegen Dopings aufgeflogen, postete diese Liste sogar selbst.

Von Dopingverdächtigungen blieb Vingegaard bislang noch frei. Er genießt eine Art Welpenschutz, wie Pogacar im letzten Jahr, als er überraschend den Toursieg holte. Bei seiner anstehenden Wiederholung ist dies anders. Der Slowene verteidigt sich geschickt, sagt, dass seine Eltern ihn zu Ehrlichkeit erzogen hätten und er einfach nur Freude habe, gute Wattzahlen zu treten. Er wirkt charmant und aufgeschlossen dabei, setzt nicht diesen Killerblick wie Lance Armstrong auf. Vingegaard wird, obwohl am Ventoux sogar stärker als Pogacar, mit solchen Verdachtsfragen noch nicht behelligt. Die gesamte Radsportszene erfreut sich an seinem Aufstieg. Jetzt, in den Pyrenäen, zeigte er sich erneut auf Augenhöhe mit Pogacar. Der 22-jährige Slowene im Gelben und der zwei Jahre ältere Däne im Weißen Trikot erklommen am Mittwoch einträchtig den Col du Portet. Nur Richard Carapaz vermochte ihnen zu folgen. Der Ecuadorianer spielte erst den fast toten Mann, beteiligte sich nicht an der Führungsarbeit - und trat dann urplötzlich an.

Den coolen Youngster Vingegaard konnte das nicht schocken. »Ich dachte mir schon, dass Carapaz so etwas vorhat, so wie er vorher schaute«, meinte er später. Dem direkten Angriff konnte er zwar nicht folgen. Er schloss dann aber dennoch auf und belegte im Sprint um den Tagessieg und die Bonussekunden Platz zwei hinter Pogacar und vor Carapaz. Das löste natürlich Jubel im Lager von Jumbo-Visma aus. »Wir wussten bereits, dass er ein großes Talent für die Zukunft ist. Und er hat große Entwicklungsschritte als Klassementfahrer für die großen Rundfahrten vollzogen. Dass er aber jetzt schon so weit ist, haben wir nicht erwartet«, meinte der Sportliche Leiter Grischa Niermann. Und auch am Donnerstag, bei der schweren Etappe über den legendären Col du Tourmalet und mit der Bergankunft in Luz Ardiden überzeugte Vingegaard. Beim erneuten Etappensieg von Pogacar verteidigte er als Zweiter auch seinen zweiten Platz in der Gesamtwertung.

Eigentlich war Vingegaard auch gar nicht für diese Tour nominiert. Erst die Rennpause, die der frühere Giro-Sieger Tom Dumoulin einlegte, um überhaupt wieder Motivation für den Radsport zu gewinnen, machte den Platz frei. Zuerst war er als Edelhelfer für Pimoz Roglic vorgesehen - und vor allem als Grand-Tour-Schüler. Sich selbst ausbelasten, Roglic helfen und immer in den eigenen Körper hineinhorchen, wie der die Belastungen verträgt - das waren ursprünglich Vingegaards Aufgaben. Schon jetzt ist er darüber hinausgewachsen, könnte in naher Zukunft beständig auf Augenhöhe mit Roglic sein - und diesen sogar ablösen. »Was wäre das für ein interessantes Rennen gewesen. Mit beiden, mit Primoz und mit Jonas, hätten wir hier ein ganz anderes Spiel aufziehen können«, meinte Berghelfer Kuss.

Ähnlich beeindruckt ist die Konkurrenz. »Jonas fährt einfach stark. Nach all dem Pech, das Jumbo hatte, zeigt er hier seinen Charakter. In Zukunft wird er noch besser sein als jetzt. Er kann ziemlich schnell ein Toursieger sein«, meinte Pogacar. Und mit Blick auf den Mann in Weiß sagte der Mann in Gelb: »Ich mag es, gegen ihn zu fahren. Er ist einfach ein guter Typ.«

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