Nicht alle können kostenfrei pinkeln

Künstler*innenkollektiv macht auf den Haken an den neuen City-Toiletten aufmerksam

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer kennt das nicht? Man ist in der Stadt unterwegs und muss dringend auf die Toilette. Vor allem für Menschen ohne Penis, vor allem in Vierteln ohne entgegenkommende Gastronom*innen kann die Suche nach Erleichterung zum Problem werden. Der Berliner Senat brüstet sich nun damit, 193 neue City-Toiletten der Firma Wall in der Stadt errichtet zu haben, womit es berlinweit insgesamt 281 öffentliche Toiletten gibt.

Wie die zu benutzen sind, hat das queer-feministische Künstler*innenkollektiv Anonyme Anwohnende in der vergangenen Woche in einer satirischen Kunstaktion Passant*innen der City-Toilette in der Falckensteinstraße in Kreuzberg erklärt. »Welcome Abort« begrüßt eine Stimme aus einer kleinen Musikbox zu Aufzug-Gedudel die Fußgänger*innen. Zwei Performer*innen in grauem Kittel mimen dazu die Klo-Begleiter*innen, angelehnt an die typische Einweisung an Board eines Flugzeugs.

»Folgen Sie Ihrem Geruch und halten Sie 50 Cent bereit, die Sie in Ihrem Portemonnaie finden«, sagt die freundliche Stimme. Sie fügt hinzu: »Eine kostenlose Toilette gibt es auch. Umrunden Sie dafür einmal das Stadtmöbel.« Bei der Gratis-Variante handelt es sich um ein Pissoir, das jedoch vor allem für Männer* gedacht ist. »Da die Pissoirs total einsichtig sind, kann die Benutzung auch für Transpersonen ein Problem sein«, sagt eine der fünf Anonymen Anwohnenden.

Die Kritik ist klar: Frauen* und nicht-binäre Personen müssen für den Toilettengang zahlen. Mindestens 50 Prozent der Berliner*innen werden also vom kostenfreien Pinkeln ausgeschlossen. Das Künstler*innen-Kollektiv, das sich dem Recht auf Wohnen und dem Kampf gegen Gentrifizierung und die »Finanzialisierung des öffentlichen Raums« verschrieben hat, fordert daher kostenlose öffentliche Toiletten für alle.

»Urinieren im öffentlichen Raum wird mit einer Geldstrafe geahndet«, erinnert die Stimme aus dem Lautsprecher die Passant*innen, die sich in Gruppen um die Performance an der City-Toilette versammeln, bevor es mit der Erklärung des Uringangs weitergeht: notwendige Körperstellen entkleiden, ein Taschentuch aus der gut ausgestatteten Handtasche hervorholen, das Loch unter der Klobrille anvisieren. Gegen den Geruch empfehlen die Aktivist*innen Mund-Nasen-Bedeckung und führen flugbegleiter*innen-mäßig vor, wie die FFP2-Masken an den Ohren befestigt werden. Auch Hände waschen, die Toilettebürste benutzen und der Schutz vor der automatischen Selbstreinigung per Schwimmweste werden in der Performance nicht vergessen.

Die Umstehenden reagieren amüsiert. »Wie hoch steigt denn das Wasser bei der Selbstreinigung?«, will Paul Leon Reski wissen. Seine Begleiterin Christina Maria Kuhlmey findet die Aktion »eine lustige Form der Aufklärung«. Bei der Kritik an den 50 Cent scheiden sich jedoch die Geschlechter. Reski findet den Preis gerechtfertigt. »Wenn die Toilette umsonst ist, macht man es den Junkies zu einfach, die dort Drogen nehmen wollen«, sagt er. »Männer haben es aber immer einfacher«, stimmt Kuhlmey den Anonymen Anwohnenden zu.

Die Senatsverwaltung gibt zu, dass es ein Ungleichgewicht gebe. »Das neue breite Toilettenangebot soll in Berlin das bekanntlich häufige und einigermaßen hemmungslose Wildpinken von Männern verhindern, indem man ein niedrigschwelliges Angebot für eine öffentlichkeitsverträgliche Notdurft vorhält«, erklärt Constanze Siedenburg, Sprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt. Die Idee, auch offene Urinale für Frauen anzubieten, sei verworfen worden, da diese »wenig attraktiv« seien. Und für geschlossene Räumen sei man gezwungen, eine »Schutzgebühr« zu nehmen.

Laut den Anonymen Anwohnenden habe das Unternehmen Wall einfach »ein Herz für patriarchale Grundwerte«, wie die Künstler*innen auf ihrem Aktionsflyer schreiben. Daher sei für FLINTA*-Personen, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, Trans- und nicht-geschlechtliche Menschen, die ohnehin schon durchschnittlich 30 Prozent weniger verdienen, nur der kostenpflichtige Teil des »Stadtmöbels« vorgesehen.

Für den Senat seien die – immerhin barrierefreien – City-Toiletten natürlich ein super Deal. »Der öffentliche Raum wird immer mehr zur Spardose. Es ist ja schön, dass es nun mehr Toiletten gibt und noch besser, wenn sie sauber sind, aber das sollte der Senat auch bezahlen«, sagt eine der Künstler*innen. Getreu ihres Sticker-Slogans »Wenn das Klo was kosten soll, pissen wir die Wände voll!« wird die Performance von zwei Anonymen Anwohnenden mit einem bunten Strumpf über dem Kopf und einem weiteren in der Hose beendet, indem sie die noch sterilen, grauen Fliesen des Klo-Häuschens mit einer Wasserpistole bespritzen.

Dass sie mit ihrer knapp zehnminütigen Performance Interesse und Irritationen auslösen, freut die Queer-Feminist*innen. »Es geht darum, mit den Leuten in den Dialog zu kommen.« Das tun sie bisweilen auch durch die Errichtung von »patriarchatsfreien Zonen«, die sie mit einem Seil in einem beliebigen Durchgangsort vom Rest der Straße abgrenzen. Eine Anleitung für die Patriarchatsfreiheit gebe es nicht. Trotzdem komme es dort meist zu interessanten Gesprächen. Auch die Einweisung in die City-Toilette soll in den nächsten Wochen noch an anderen Standorten wiederholt werden.

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