Von Konfuzius zu Kant

Wie die chinesische Philosophie der Aufklärung der Weg bereitete

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der Leibniz-Schüler Christian Wolff vor 300 Jahren an der Universität in Halle an der Saale seine Rektoratsrede hielt, löste das den größten akademischen Skandal seiner Zeit aus. Was auf ihn niederging, würde man heute wohl einen Shitstorm nennen. Der preußische Herrscher gab der öffentlichen Empörung nach und verhängte Verbannung als Strafe. Bei Androhung des Galgens musste Wolff Halle verlassen, es sollte nahezu 20 Jahre dauern, bis er zurückkehren konnte. Was war geschehen?

Die Rede von Wolff trug den Titel »Über die praktische Philosophie der Chinesen«. Er nahm die chinesische Philosophie, vor allem Konfuzius und Menzius, zum Vorbild eines durch die eigene Vernunft geleiteten Handelns. Und das klingt dann nicht zufällig nach »Sapere aude«, dem philosophischen Schlachtruf der europäischen Aufklärung. »Nichts schrieben die Chinesen in Bezug auf die Handlungen der Menschen vor, und nichts setzten sie in Bezug auf die Ausübung der Tugenden und der Sitten fest, als das, von dem sie einsahen, dass es mit dem menschlichen Geist vorzüglich übereinstimmt«, heißt es bei Wolff zum ersten Grundsatz der chinesischen Philosophie. Der Skandal war, dass Götter oder deren vermeintliche weltliche Stellvertreter hier nicht mehr vorkommen. Das war dann auch der Vorwurf: Atheismus und Spinozismus, Synonyme für geistigen Aufruhr gegen die Ordnung. Und zudem noch durch Parteinahme für die Chinesen.

Doch die kritische europäische Intelligenzija hatte längst China für sich entdeckt und zeigte sich begeistert von dem Arsenal an schlagkräftigen Gedanken, welche die fernöstliche Tradition gegen die christliche Offenbarungslehre bereithielt. Mit seiner deutlich Position ergreifenden Rede war Wolff zu einem bekannten Aufklärer geworden. Die Schriften von Konfuzius und Menzius hatte dieser eifrig studiert, sie waren ihm aus den Übersetzungen von François Noël bekannt. Der jesuitische Missionar hatte die Texte ins Lateinische übertragen, ohne sie wie sonst üblich zu »christianisieren«, also an die Erwartungen seiner Leserschaft anzupassen. Die Jesuiten waren überhaupt entscheidend für die »Entdeckung« Chinas in Europa. Sie lernten die Sprache und fertigten Übersetzungen an. Die im Auftrag der Gegenreformation angetretenen Jesuiten leisteten somit objektiv der Aufklärung und dem Atheismus Vorschub. Diese Zwiespältigkeit zeigte sich bei dem Orden immer wieder. Die Pfade der Aufklärung sind verschlungen.

Die chinesische Philosophie inspirierte die europäische und deutsche Aufklärung. Die Idee der Autonomie speiste sich aus dem Konfuzianismus. Wenn eine Ethik ohne Religion und und Tugend ohne »Oberherren« möglich war, so Wolffs Argument, dann sollte das Individuum nicht mehr im Namen von Kirche und Staat gegängelt werden. Der für seine Wahrheits-, Vernunft- und Chinesenliebe bestrafte Wolff wurde ab 1740 rehabilitiert, seine Ideen verbreiteten sich weiter. Immanuel Kant etwa griff Wolffs Konzeption der Selbstgesetzgebung der Vernunft auf. Er verzichtete allerdings darauf, die Natur gegen die Religion in Stellung zu bringen, wie es im Konfuzianismus und der europäischen Frühaufklärung noch üblich war.

Einiges später interessierte sich beispielsweise Bertolt Brecht nicht nur für chinesische Schauspielkunst wie die Peking-Oper, sondern insbesondere für chinesische Philosophie. Über die revolutionären Vorgänge im Fernen Osten war man im Berlin der 1920er Jahre durch die kommunistische Presse bestens informiert, es hielten sich zu dieser Zeit auch einige Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas wie Zhou Enlai vor Ort auf. »Hände weg von China« forderte ein von Willi Münzenberg organisierter Kongress im Jahre 1925. Doch das nur am Rande. Wolffs Hallenser Rede von 1721 war ein großer Moment kosmopolitischer Aufklärung und Verständigung.

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