Linke, Links und Linearität

Stephan Fischer über eine Ressortänderung beim »nd«, die überhaupt nicht modern ist

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Wenn alles und alle immer und überall online sind, wo ist dann eigentlich Online? Im »nd« wird die Frage ab jetzt neu beantwortet. Online ist überall - und deshalb auf keinem Organigramm mehr zu finden. Das Onlineressort, zuletzt @ndaktuell genannt, wird aufgelöst. »Die mit dem Internet«, das sind in Zukunft nur noch die Kollegen, die sich vor allem um das »Bespielen« der sogenannten sozialen Medien kümmern werden. Alle Redakteure aller Ressorts sollen möglichst ihre Texte sowohl für die gedruckte und die Onlineausgabe der Zeitung aufbereiten, was bisher meist die Onliner übernommen haben.

Für Leser ändert sich damit hoffentlich nichts. Für die Redaktionsarbeit schon. Betrachtet man die im Verlauf der letzten Jahre, werden fundamentale Veränderungen deutlich. Zunächst waren die Onlineredaktionen vor allem dazu da, Texte aus der fertiggestellten und kurz darauf gedruckten Zeitung für Webseiten aufzubereiten - am linearen Produktionsprozess der Texte änderte sich zunächst nichts. Online ist aber mehr: sowohl journalistisches Thema als auch der Kanal, über das Thema selbst und andere zu berichten. Beide Sphären stehen nebeneinander, kombinieren sich, widersprechen sich - teilweise gleichzeitig. Online ist permanente Gegenwart, das verändert Arbeit und Produktion. Onlinetexte müssen immer »jetzt« fertig sein - Redaktionsschluss ist immer. Und nie, denn Onlinetexte können jederzeit editiert, erweitert, gekürzt, gelöscht werden - das Gegenteil von in Stein gemeißelt oder gedruckt.

Das ist ein riesiges Problem, wenn es um die Bewertung des Wahrheitsgehalts von online publizierten Texten geht - wer hat sie wann erstellt, editiert, welchen Stand lese ich hier gerade? Erinnert sei an Wikipedia-Einträge zu bestimmten Personen oder Themen, dann wird das Problem klar: Der Text ist ständig veränderbar, niemals fertig, durch Verlinkungen potenziell unendlich lang und unendlich widersprüchlich, von für den Leser nicht sichtbaren Akteuren auch manipulierbar - man kann sie schwer als Referenz nutzen. Onlinetexte sind in ihrem nichtlinearen Charakter perfekter Ausdruck der Postmoderne. Ihr Wahrheitsgehalt ist nicht mehr zu bestimmen, da ihr Entstehen selbst inkludiert, dass es keine Wahrheit gibt, nur die momentane Haltung von nicht identifizierbaren Akteuren, die sich am Text zu schaffen machen. Solche Texte zu lesen ist in letzter Konsequenz fast sinnlos, wenn es um Erkenntnisgewinn geht: weil sie keine verständliche allgemeine Aussage mehr beinhalten. Also muss man Linearität (wieder-) herstellen: Urheberschaft, Editionen und Chronologien transparent machen, allgemein gültige Begriffe verwenden, Meinung und Tatsachenbehauptung trennen. Sich validem, ehrlichem Journalismus verschreiben, Fakten und der Wahrheit verpflichtet, auch wenn sie nicht gefällt oder Gefühle verletzt. Egal, wie das Ressort heißt und auf welchem Kanal der Text erscheint.

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