Aiwangers Zielgruppe

Um die Freien Wähler in den Bundestag zu führen, umwirbt ihr Chef Hubert Aiwanger unverhohlen Impfgegner und das coronaskeptische Spektrum

Die Coronakrise dürfe nicht Gegenstand des Wahlkampfs werden – diese Forderung hört man gelegentlich. Das ist natürlich naives Wunschdenken. Oder falsches Spiel. Denn ganz zwangsläufig ist alles, was in Vorwahlzeiten politisch diskutiert und entschieden wird, Teil der Wahlkampfauseinandersetzung. Ganz egal. ob das jemand beabsichtigt oder nicht. Es bleibt nicht ohne Wirkung auf Wählerinnen und Wähler, wenn die Regierung Entscheidungen trifft und die Opposition das kritisiert. Wenn der Gesundheitsminister über die Impfstrategie spricht, wenn die Ministerpräsidenten der Länder sich zu Wort melden, wenn Abgeordnete Vorschläge machen oder gegen Vorschläge protestieren – immer geht es in diesen Wochen zumindest im Hintergrund auch um Wählerstimmen und Umfragewerte.

Dagegen ist nichts einzuwenden, solange mit Sachargumenten um die beste Lösung gerungen wird. Fragwürdig wird es allerdings, wenn diese Auseinandersetzung vom Streben nach Profilierung überdeckt wird. Einer, der das derzeit geradezu unverschämt vorführt, ist der Vorsitzende der Freien Wähler, Hubert Aiwanger. Seine Partei, die lange ein Schattendasein fristete, ist in Bayern eine politische Macht geworden. Sie sitzt neben der CSU in der Landesregierung, Aiwanger ist stellvertretender Ministerpräsident. Dass die Freien Wähler mit Fraktionen in drei Landtagen vertreten sind (neben Bayern auch in Brandenburg und Rheinland Pfalz) sowie in Sachsen-Anhalt und Berlin durch einzelne übergetretene Abgeordnete, ermutigt sie, den Einzug in den Bundestag anzupeilen.
Dazu fehlt ihnen laut Umfragen aber noch ein ganzes Stück. Also braucht die Partei ein griffiges Thema, das sie in die Schlagzeilen bringt und mit dem sie ihr Wählerspektrum erweitern kann. Um so schwieriger für die Freien Wähler, die aus vielen kleinen regionalen Initiativen entstanden sind und kaum eine übergreifende Programmatik haben, die ihnen ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen würde. Unter dem Einfluss des starken bayrischen Landesverbandes erscheinen sie als stockkonservative Partei, die versucht, von der Schwäche der Union zu profitieren.

Dabei hat es Freie-Wähler-Chef Aiwanger jetzt offenbar ganz unverhohlen auf Impfgegner und damit im Hintergrund auf das gesamte coronaskeptische Spektrum abgesehen. Jedenfalls hofiert er diese Leute wie sonst nur die AfD. Die Partei Die Basis, die aus den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen hervorgegangen ist, kandidierte bei den jüngsten Wahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt unscheinbar und erfolglos und dürfte auch bei der Bundestagswahl im Bereich der Splitterparteien landen. In diese Vertretungslücke will Aiwanger die Freien Wähler schieben und redet ohne nähere Erläuterungen über »massive Nebenwirkungen« der Impfungen, »dass einem die Spucke wegbleibt«. Er wolle die Stimme derer sein, die »diesen Weg« (den Weg des Impfens) »noch nicht mitgehen« und fordert, mehr auf die Mediziner zu hören statt darauf, was die Politik von den Medizinern erwarte.

Das ist der Sound, mit dem Aiwanger versucht, aus dem existierenden Corona-Unmut politisches Kapital zu schlagen. Seine auch ganz persönliche Ablehnung des Impfens trägt er wie ein Banner vor sich her und ignoriert, dass die übergroße Mehrzahl der Mediziner dringend zum Impfen rät. So hofft er, die fehlenden zwei, drei Prozent im Bund einzufahren. Gleichzeitig ist es das Bemühen, sich in Bayern gegen einen Ministerpräsidenten profilieren, der geschickt und ziemlich erfolgreich den Krisenmanager gibt. Denn wenn schon nicht die Bundestagwahl, so ist zumindest die nächste Landtagswahl in Bayern in zwei Jahren überlebenswichtig für die Freien Wähler.

»Mein Körper, darüber entscheide ich« – das ist auch so ein Aiwanger-Satz, mit dem er gegen das Impfen polemisiert und auf Stimmenfang geht. Wenn er das tatsächlich ernst meint, dann sollten seine Freien Wähler – immerhin Regierungspartei – sich dafür einsetzen, dass schwangere Frauen sich in Bayern ohne Druck und Vorurteile über einen Schwangerschaftsabbruch beraten lassen können. Und dass Frauenärztinnen und -ärzte diese Abbrüche ohne Druck ausführen können. Das wäre ein Ausdruck von prinzipiellem Freiheitsdenken. Alles andere ist billige Wahlkampfpolemik.

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