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»Da sage ich:Gute Reise, SPD!«
Der Linke-Finanzpolitiker Christian Görke über den unsozialen Bundeshaushalt und ein Investitionshemmnis namens Lars Klingbeil
In dieser Woche beginnt der Bundestag mit den Beratungen über den Haushalt für 2025 …
Endlich.
Wieso? Hätte es denn nach Bundestagswahl und Regierungsbildung schneller gehen können?
Ja, natürlich, durch die Trödelei des Bundesfinanzministers haben wir Wochen verloren. Eigentlich hätte der Bundeshaushalt in dieser Woche beschlossen werden können. Aber nun kommt es im Juli zur ersten Lesung und erst im September wird der Haushalt beschlossen sein.
Mit welchen Folgen?
Dass wir neun Monate des Jahres nur eine vorläufige Haushaltsführung haben. Vergleichbar einer Haushaltssperre. Also nur gesetzliche Leistungen werden finanziert. Neue, dringend benötigte zusätzliche Investitionen können nicht ausgelöst werden und freiwillige Leistungen an Verbände, Vereine und Dritte, die an einen beschlossenen Haushalt gebunden sind, stehen unter Haushaltsvorbehalt oder liegen alle auf Eis. Auch so lassen sich Ausgaben einsparen.
Sie meinen, dahinter steckt Kalkül?
Eine vorläufige Haushaltsführung, und dann noch über neun Monate, ist doch der Traum eines jeden Finanzministers. Hier lassen sich richtig Ausgaben einsparen. Aber eben auch keine dringend benötigten Investitionen aufs Gleis schieben. Das eigentliche Wachstums- und Investitionshemmnis heißt also Lars Klingbeil.
Christian Görke (Linke) gehört dem Bundestag seit 2021 an. Davor war er lange Abgeordneter in Brandenburg, unter anderem Fraktionschef, und fünf Jahre lang Finanzminister. Im Bundestag bis vor Kurzem Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. wurde Görke zum stellvertretenden Vorsitzenden des Finanzausschusses gewählt. Der Vorsitz steht der AfD zu, deren Kandidat aber nicht gewählt wurde. Deshalb leitet Görke bis auf Weiteres das Gremium.
Wenn man sich die gigantischen Rüstungsausgaben in den kommenden Jahren ansieht – bewegen wir uns in Richtung von Rüstungshaushalt und Kriegswirtschaft?
Zumindest in Richtung Kriegstüchtigkeit, das ist ja die erklärte Absicht. Im aktuellen Haushalt sind es nun schon 96 Milliarden Euro. Weit mehr als 200 Milliarden Euro sollen perspektivisch Jahr für Jahr in Aufrüstung gesteckt werden, weitere Mittel in den Umbau der Infrastruktur für militärische Nutzung. Das ist völlig unrealistisch und irre.
Was heißt unrealistisch?
Wenn man das finanzieren will, müssen in großem Ausmaß andere Investitionen und soziale Leistungen weggespart werden. Für den Bereich Aufrüstung ist zwar die Schuldenbremse aufgehoben, aber die Schuldenaufnahme ist ja nach EU-Standards nur begrenzt möglich. Es wird also verheerende soziale Folgen haben. Man sieht es schon an der Entscheidung der Koalition zur Stromsteuer. Die sollte für alle gesenkt werden, jetzt gilt das nur für die Großindustrie. Kleine Unternehmen sowie Privatleute gehen leer aus. Und die Begründung ist: Dafür reicht das Geld des Bundes nicht. Der sogenannte Sozialdemokrat Klingbeil hält offensichtlich nicht einmal mehr eine soziale Fassade für nötig.
Nun gibt es nicht nur riesige Ausgaben für Rüstung, sondern auch ein großes Investitionsprogramm für die Infrastruktur.
Mit dem Haushalt sollen schon in diesem Jahr 115 Milliarden Euro fließen. Aber das ist reine Ankündigungspolitik. Das ist zwar eine deutliche Steigerung zu den letzten Haushalten. Ich bezweifle jedoch, dass das in diesem Jahr überhaupt vernünftig umgesetzt werden kann.
Warum?
Weil das nicht so schnell geht, weil es keinen ausreichenden Planungsvorlauf auf der Bundesebene gibt. Weder im Bereich der Deutschen Bahn noch für den Straßenbau. Bei Ländern und Kommunen, die eigentlich 70 Prozent der Investitionen in Deutschland tragen, sieht es anders aus. Die haben oftmals fertige Projekte in den Schubladen. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, von den 500 Milliarden Euro kreditfinanzierten Mitteln aus dem Sondervermögen einen weitaus höheren Anteil als 100 Milliarden Euro den Ländern und Kommunen zu geben.
100 Milliarden sind keine Kleinigkeit.
Auf elf Jahre gestreckt sind das 9,1 Milliarden pro Jahr, verteilt auf die 16 Bundesländer, je nach Größe. Da relativiert sich die Zahl schon deutlich. Gleichzeitig zieht die Bundesregierung mit der Reform der Unternehmenssteuer den Ländern Geld aus der Tasche. Dadurch ergeben sich für die Jahre 2030 bis 2032 über 60 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen, und davon müssen Länder und Kommunen mehr als die Hälfte tragen. Das heißt, der Bund betreibt ein Spiel zwischen linker und rechter Tasche. Das ist eine Milchmädchenrechnung, die nicht aufgehen wird.
Gibt es nicht eine Einigung zwischen Bund und Ländern, derzufolge den Kommunen die ausfallenden Einnahmen ausgeglichen werden sollen?
Da muss man genau hinsehen. Die Unternehmenssteuerform hat ja zwei Stufen. Der sogenannte Investitions-Booster mit höheren steuerlichen Abschreibungen für Unternehmen. Dadurch werden bis 2029 die Kommunen rund 13,5 Milliarden weniger Einkommen- und Gewerbesteuer bekommen, und das wird ihnen ausgeglichen. Aber in der zweiten Stufe wird dann die Körperschaftssteuer für Unternehmen schrittweise gesenkt, und wenn das Gesetz 2032 die volle Jahreswirkung erreicht, reden wir über jährliche Mindereinnahmen von etwa 25 Milliarden Euro. Das heißt, man stellt jetzt ein paar Investitionsgeschenke ins Schaufenster, aber letztlich wird nicht stärker investiert. Darauf gebe ich Brief und Siegel.
Ist das auch der Preis der dramatisch steigenden Rüstungsausgaben?
Ja, wir rüsten uns zu Tode, auf der anderen Seite sorgen wir dafür, dass in vielen Kommunen umgangssprachlich das Licht ausgeht. Viele Kommunen sind in der Haushaltskonsolidierung, besser gesagt in einer Notlage! Zusätzlich sind sie auch noch von Altschulden belastet, die sie kaum mehr bedienen können, und zwar in Ost und West.
Wird nicht auch in ganz falsche Dinge investiert? Neben der gigantischen Aufrüstung beispielsweise die neuen Gaskraftwerke, die Wirtschaftsministerin Reiche plant.
Das ist völlig überdimensioniert und soll über eine Umlage von den Verbrauchern finanziert werden. Außerdem ist es eine Frechheit, dass die meisten dieser Kraftwerke südlich des Weißwurstäquators entstehen sollen und nicht dort, wo eigentlich die Energieregionen sind, zum Beispiel in der Lausitz.
Eigentlich sollten die Länder die Investitionsmilliarden nur für zusätzliche, nicht sowieso schon geplante Projekte verwenden. Das wurde zurückgenommen. Ist das nicht gut für die Länder, weil sie jetzt freie Hand haben?
Da sieht man mal, wie die Realität ist. In Ländern und Kommunen ist finanziell Land unter. Insofern verstehe ich die Initiative der Länder, die sich jetzt der Bund zu eigen macht. Trotzdem verstößt diese Übereinkunft gegen den Beschluss über das Sondervermögen. Nachhaltig ist das nicht! Deshalb wäre es ja besser gewesen, die Schuldenbremse grundsätzlich zu reformieren. Also sie abzuschaffen.
CDU und CSU erwecken in der Haushaltdebatte den Eindruck, dass man mit Kürzungen beim Bürgergeld sehr viel Geld lockermachen könnte. Was ist angesichts des Existenzminimums da realistisch drin?
Nur Peanuts. Die Bürgergelddebatte wird benutzt, um Stimmung zu machen, um die Debatte über Reichtum und Vermögen in diesem Land in eine andere Richtung zu drehen. Und da ist ja nicht nur die Union auffällig. Wahr ist, dass 72 Prozent der Entlastungswirkungen bei der Unternehmenssteuerreform des Sozialdemokraten Lars Klingbeil beim reichsten Prozent der Bevölkerung landen werden. Das hat das renommierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst in einer Stellungnahme ausgerechnet. Das muss man sich mal vorstellen. Ich finde es empörend, dass die erste Aktion eines SPD-Finanzministers eine Unternehmenssteuersenkung war. Im Wahlkampf haben sie noch von Respekt und Gerechtigkeit geredet. So wird das nichts mit der Wiederauferstehung der Sozialdemokratie. Da kann ich nur sagen: Gute Reise!
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