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Neue Regierung, alte Probleme

Irans neuer Präsident Ebrahim Raisi steht von Anfang an innen- und außenpolitisch unter Druck

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit gut einer Woche erlebt die iranische Führung im Internet das, was man im Westen wohl als »Shit Storm« bezeichnen würde: In der vergangenen Woche hatte das iranische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Schaffung von iranischen Alternativen zu westlichen Apps wie WhatsApp vorsieht, außerdem sollen Programme verboten werden, mit denen die Zensur umgangen werden kann. Doch der Sturm der Entrüstung fiel unerwartet laut aus: Selbst Minister äußerten sich ablehnend, und das selbstverständlich bei Twitter und Facebook.

Plattformen wie diese haben vor allem jungen Menschen in der Islamischen Republik in den vergangenen Jahren ermöglicht, ihre Meinung zu sagen, über die Zukunft des Landes zu debattieren. Der Kontrast, der am Dienstag im iranischen Staatsfernsehen zu sehen war, fällt vor diesem Hintergrund sehr grell aus: Da wurde der ultrakonservative Ebrahim Raisi von Ajatollah Ali Khamenei formell zum Präsidenten ernannt. In der islamischen Republik wird der Präsident vom Volk gewählt, aber vom Ajatollah auf Grundlage des Ergebnisses ernannt. Die Vereidigung findet am Donnerstag statt. Laut Ankündigung werden daran angeblich 115 Vertreter*innen aus 73 Ländern teilnehmen, darunter auch zehn Staatspräsidenten.

Doch viele Iraner*innen können sich Raisi überhaupt nicht als Präsident vorstellen. Er sei zu konservativ, zu sehr in der Vergangenheit der Islamischen Revolution verwurzelt, zu unerfahren im komplexen politischen Alltag des Landes.

Gewählt wurde er trotzdem, aber das nur, weil er als Justizchef die Mehrheit im Wächterrat mit eigenen Leuten besetzten konnte, die dann alle aussichtsreichen Gegenkandidat*innen blockierten. Am Ende blieb gut die Hälfte der Wähler*innen zu Hause und Raisi wurde mit 60 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt.

Ein Ergebnis, das er in einer Rede nach seiner Amtseinführung herunterzuspielen versuchte: »Ausländische Kräfte« hätten beabsichtigt, die Wahl zu beeinflussen, aber trotzdem habe er gewonnen. Und auch einen Seitenhieb auf die Zustände nach der Präsidentschaftswahl in den USA hatte er parat: Anders als »in anderen Ländern« gebe es im Iran eine friedliche Übergabe der Präsidentschaft. Er werde sich nun um die Aufhebung der »tyrannischen« US-Sanktionen bemühen, aber das Ausland werde dem Iran nicht die Art zu leben diktieren, sprach Raisi.

Doch die Atomgespräche sind nach der Wahl im Iran im Juni zum Stillstand gekommen; einem Bericht des amerikanischen Fernsehsenders CNBC zufolge hat es seitdem auch keine Kontakte der Verhandler*innen mit Raisi oder seinen Mitarbeiter*innen gegeben. Doch seine Aussagen am Dienstag wurden von Iraner*innen in sozialen Netzwerken - mit einiger Erleichterung - als Bereitschaft gewertet, am Verhandlungstisch zu bleiben: Solange gesprochen werde, so die Hoffnung, werde sich Raisi im Inneren zurück halten. Denn in den 1980er Jahren soll er als Richter mindestens 5000 Regimekritiker*innen zum Tode verurteilt haben. Die US-Regierung hat ihn deshalb mit persönlichen Sanktionen belegt. Er gilt als Verfechter einer streng islamischen Lebensweise und bezeichnete in den vergangenen Jahren mehrfach Kritik an den Entscheidungen der Führung als »Verrat an der islamischen Revolution«.

Und eine weitere Personalentscheidung des vergangenen Monats macht wenig Mut: Die Nachfolge als Justizchef tritt der ehemalige Geheimdienstminister Gholam-Hossein Mohseni-Ejei an, der ebenfalls auf westlichen Sanktionslisten steht, weil er 2009 die Niederschlagung von Studentenprotesten befohlen hatte.

Doch Raisi steht vor allem vor enormen innenpolitischen Aufgaben: Es herrscht eine gravierende Wasserknappheit, die Wirtschaft liegt am Boden, die Gesellschaft ist gespalten. Er habe einen »umfassenden Plan« für die Wiederbelebung der Wirtschaft, sagte er am Dienstag. Wahrscheinlich besteht dieser Plan darin, die Annäherung an China und Russland zu suchen. Doch daran hatten sich bereits Raisis Vorgänger versucht, vergeblich, weil vor allem die chinesische Regierung ihr Auslandsengagement mit der Forderung nach erheblichem Einfluss verbindet. Und das ist im Iran ein absolutes Tabu: Das Ringen um die Kontrolle über die Ölproduktion, das 1953 zum Sturz von Premierminister Mohammad Mossadegh führte, orchestriert von den britischen und amerikanischen Geheimdiensten, wirkt bis heute nach.

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