Ukraine-Krieg: »Direkte Hilfe vor Ort«

Alexander Weiß engagiert sich für die Menschen in der Ukraine – und für deren Armee

  • Interview: Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 6 Min.
Spenden für die Ukraine – Ukraine-Krieg: »Direkte Hilfe vor Ort«

Erst vor ein paar Tagen waren Sie wieder in der Ukraine. Wie ist die Stimmung bei Ihren Freunden dort?

Das ist unterschiedlich, je nachdem, mit wem man spricht und ob jemand Angehörige verloren hat oder nicht. Oder ob Freunde gerade an der Front kämpfen oder nicht. Ob Verwandte als Zivilisten in den Städten oder frontnahen Dörfern gerade getötet wurden oder nicht. Insgesamt sind die Menschen, mit denen ich spreche, entschlossen, aber auch frustriert und natürlich auch müde von dem seit bald vier Jahren andauernden Widerstand gegen den russischen Angriff. Müde, weil es jede Nacht landesweit Luftangriffe gibt. Müde, weil es im Moment keinen Strom gibt, kein Licht. Und es wird Winter.

Wie oft waren Sie bislang in der Ukraine?

Im Schnitt vielleicht alle zwei Monate seit dem Beginn des Totalüberfalls am 24. Februar 2022 in der Ukraine. Oder noch öfter. Bestimmt 20, 30 Mal. Aber das ist nicht entscheidend. Wir sind ja ein Netzwerk von Freunden und eigentlich fährt unser Bus mindestens einmal im Monat in die Ukraine, um Hilfsgüter hinzubringen, aber auch Ausrüstung für die Armee, Medikamente für Stabilisierungspunkte hinter der Front, Drohnen und vieles andere. Auf dem Rückweg von unseren Transporten bringen wir Menschen, die vor dem Bombenterror fliehen, zu uns nach Deutschland.

Interview

Alexander Weiß, 53, verheiratet, Vater von zwei Kindern, hat Geschichte studiert und lange in der IT-Branche gearbeitet. Seit dem 24. Februar 2022 unterstützt er als Freiwilliger die Ukraine und sammelt Spenden unter www.ukrainewillwin.de.
Er war außerdem lange politisch aktiv im Jugendverband Jung­demo­kratInnen/Junge Linke, 1991 auch deren Bundes­vorsitzender.

Drohnen? Ausrüstung für die Armee? Also, wer Ihnen spendet, der spendet auch für die Verteidigung der Ukraine?

Man kann uns zweckgerichtet spenden. Also wir sammeln Geld für humanitäre Güter: für Hygieneartikel, für Shampoo, Windeln, haltbare Nahrung, um damit Geflüchtete zu versorgen oder aber Menschen, die in den frontnahen Gebieten bleiben mussten, weil sie nicht wegkommen. Und wir sammeln auch gezielt Geld für Armeeausrüstung, Spezialverbände, Schutzkleidung und ja, auch für Drohnen.

Aber die Nato-Staaten liefern doch Rüstungsgüter im Wert von Milliarden in die Ukraine, wieso braucht es denn da noch private Spenden für die Armee?

Die Nato-Staaten liefern ja in erster Linie Großgerät und Munition und das bei Weitem nicht ausreichend. Kleinere Sachen wie FPV-Drohnen oder Spezialverbände entweder gar nicht oder in homöopathischen Dosen. Ich zitiere mal aus der Lieferliste der Bundesregierung: »500 Stück Wundauflagen zur Blutstillung, 230 Ferngläser, 331 Sat Com Terminals«, und so weiter. All diese Dinge, egal ob von der Nato oder kleinen Initiativen wie der unseren geliefert, gehen kaputt, werden bei Angriffen zerstört, werden verschlissen. Unsere Drohnen beispielsweise sind wie Munition: one way. Schuhe, um die gefürchtete Grabenfuß-Infektion zu verhindern, Tourniquets, die bei Schrapnell-Verletzungen ein Ausbluten verhindern, oder einfach nur ein Generator, um Strom für die Kommunikation im Bunker zu generieren – all das wird von Ukrainern oder auch von uns ausschließlich in privater Initiative gesammelt. In den ukrainischen Streitkräften dienen etwa 800 000 Männer und Frauen. Die Front ist etwas mehr als 1300 Kilometer lang. Das ist die Strecke von Berlin bis Le Mans.

Wie funktioniert das praktisch?

Wir versuchen mit direkter Hilfe vor Ort zu unterstützen. Das heißt, dass alle Spenden, die wir erhalten, eingesetzt werden für die Sachen, die die Menschen vor Ort dringend brauchen: Gerade beginnt der Winter, und die Versorgung in den frontnahen Städten und Dörfern ist katastrophal. Wir besorgen Generatoren, aber auch gebrauchte warme Kleidung, Decken, Stirnlampen und Powerbanks. Für die fliehenden Menschen am Bahnhof Lwiw können wir einmal am Tag warme Mahlzeiten finanzieren, auch dank der Unterstützung durch den Verein Kunstbrücke Panketal. Und wir besorgen Kleidung für Soldaten, Wundverbandmaterial, gebrauchte Handys für die Soldaten in den medizinischen Stabilisierungspunkten direkt hinter der Front, die Verwundeten, damit sie ihre Familien und Freunde informieren können.

Wir stehen täglich in Kontakt mit Gewerkschaftern und Soldaten, mit Hilfsinitiativen wie der anarchistischen Gruppe Solidarity Collectives, aber auch Einzelpersonen, und erhalten Nachrichten über den Krieg, den Frontverlauf und eben über Dinge, die vor Ort in den Dörfern im Donbass oder im Osten der Ukraine fehlen und dringend gebraucht werden. Die Spenden werden immer im Sinne der Spender ausgegeben, das sind ganz individuelle Hilfen. Über jede Spende berichten wir und senden Fotos von der Übergabe. Ich gebe einen Newsletter heraus, der alle sechs Wochen erscheint und über unsere Projekte informiert.

Warum haben Sie sich entschieden, ausgerechnet den Menschen in der Ukraine zu helfen? Es gibt ja so viele Kriege auf der Welt, wo man helfen könnte.

Ich habe am 24. Februar 2022 gemerkt, dass da etwas Großes passiert, ohne es in Worte fassen zu können. Ich habe einfach gespürt, dass es irgendwie etwas mit uns zu tun hat. Und dann habe ich die Menschen gesehen, die auf der Flucht waren. Und hatte das Gefühl, dass ich irgendwas machen muss, weil ich sonst zu Hause verrückt werde.

Der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, der Historiker Karl Schlögel, sagt, dass in der Ukraine gerade die Zukunft Europas entschieden wird.

Da hat er vollkommen recht. Aus zwei Gründen: Erstens entscheidet sich, ob Europa wirklich eine Wertegemeinschaft ist und ob wir es durchgehen lassen, dass ein imperialistischer Staat einen kleineren, schwächeren Nachbarn überfällt, unterwirft und seine Kultur ausrottet sowie die Menschen foltert, vergewaltigt und deportiert. Zweitens: Wenn Putin und Russland in der Ukraine Erfolg haben, dann stehen sie vor den Toren der EU. Und deswegen hat das ganz viel mit uns zu tun, mit unseren Werten, aber auch mit unserer Sicherheit.

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Sie haben anfangs von Stromabschaltungen gesprochen. Wie ist die Situation im Moment?

Absolut dramatisch, bereits jetzt sind mehr als 85 Prozent der Energieversorgung zerstört. Selbst in Kiew haben einige Stadtviertel nur drei Stunden Strom am Tag. Das bedeutet gleichzeitig kein Licht, keine Wärme, kein Wasser und keine Klospülung, aber auch keinen Fahrstuhl für ältere Menschen, die sich bei Luftalarm, den es mehrmals täglich gibt, in einen Luftschutzraum in Sicherheit bringen sollen. In Sumy und Charkiw, großen Städten näher an der Front, ist es noch viel schlimmer. Dort ist tagelang der Strom weg, Kinder gehen in Bunkern zur Schule – wenn überhaupt.

Wie verhindern Sie, dass Ihre Spenden in falsche Hände gelangen?

Das ist eine gute Frage, weil ja immer wieder Meldungen die Runde machen, in der Ukraine herrsche Korruption. Und es gibt auch immer wieder, jetzt gerade auch aktuell, große Korruptionsfälle, die öffentlich werden. Was eigentlich eine gute Nachricht ist, weil das heißt, dass die Zivilgesellschaft und auch die Institutionen in der Ukraine trotz Krieg funktionieren. Bei uns kommt hinzu, dass wir die Leute, denen wir helfen, alle persönlich kennen.

Und wir können absolut sicher sein, dass da nichts in falsche Hände gerät. Und wir liefern auch nur das, was wirklich gebraucht wird. Da wird nichts weggeschmissen, da wird nichts Unnützes geliefert.

Wann fahren Sie das nächste Mal in die Ukraine?

In zwei Tagen.

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