Handgemachter Wahlkampf

Bundestagswahlkreis 61: Statt einer Werbeagentur fotografiert Potsdams Linke selbst für ihre Plakate

Quer über das gesamte Großflächenplakat von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat jemand geschrieben: »Wer hat uns verraten?« Bekanntlich lautet die Antwort der Kommunisten seit der gescheiterten Novemberrevolution von 1918: »Sozialdemokraten!«
Direkt daneben hat Die Linke am Dienstag an der Breiten Straße in Potsdam mit Bauzäunen und Bannern vier mit ihrem hiesigen Bundestagskandidaten Norbert Müller tapezierte Großflächen aufgebaut. Sie bilden um 13 Uhr die Kulisse für den offiziellen Wahlkampfauftakt.

Ohne Fotografen und Werbeagentur
Die Linke bekomme keine Spenden von Unternehmen, und wenn doch, würde sie das Geld nicht annehmen, betont der Kreisvorsitzende Roland Gehrmann. »Die Linke ist nicht käuflich. Deshalb hat die Partei deutlich weniger finanzielle Mittel als beispielsweise Grüne, SPD oder CDU. Statt auf externe Dienstleister setzen wir im Wahlkampf auf Handarbeit.«

Die Fotos für vier Plakatmotive mit dem Bundestagsabgeordneten Müller hat Roland Gehrmanns Lebensgefährtin Katharina Rösler gemacht. Rösler ist Genossin, aber von Beruf keineswegs Fotografin oder Gestalterin; sie arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt. Sie und der Kandidat benötigten mehrere Tage, bis unter den an markanten Punkten im Stadtbild entstandenen Aufnahmen etwas Brauchbares dabei war, berichtet Müller schmunzelnd. Gehrmann schüttelt lächelnd den Kopf: Es habe so viel geregnet, und für gute Bilder wäre besseres Licht erforderlich gewesen.

Das Ergebnis aber überzeugt: Es sieht alles sehr professionell aus. Kandidat Müller ist ausgezeichnet in Szene gesetzt. »Deckel drauf, Mieten runter«, steht auf einem seiner Plakate. Auf den anderen Versionen: »Menschen vor Profite«, »Kitas statt Garnisonkirche« und »Für das Klima: Bus & Bahn kostenlos«.

Dazu erklärt Müller: »Ein Zurück zum Status quo darf es aus unserer Sicht nicht geben. Schließlich gab es schon vor der Pandemie zu wenig Kitaplätze, viele Menschen zwischen Fahrland und Ludwigsfelde konnten sich schon damals die Mieten nicht mehr leisten, das Gesundheitssystem war schon vor Corona am Limit, und die Dringlichkeit der Klimakrise ist auch schon lange bekannt.«

Im Bundestag will sich Müller weiter dafür starkmachen, dass Geld für Kitaplätze fließt, statt für den umstrittenen Bau einer Kopie der im Zweiten Weltkrieg ausgebrannten und 1968 gesprengten Potsdamer Garnisonkirche. Seit 2014 sitzt Müller im Parlament, ist mehrmals über die Landesliste seiner Partei eingezogen, steht aber diesmal nicht auf der Liste und müsste seinen Wahlkreis gewinnen.

Kein Kanzler aus diesem Wahlkreis
Dass sich seine Konkurrenten im Wahlkreis 61, die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne), in Koalitionsverhandlungen mit der Union für einen Mietendeckel einsetzen würden, glaubt Norbert Müller durchaus. »60 Sekunden lang«, dann hätte sich das Thema erledigt, weil die CDU da nicht mitspielen würde. Dass Scholz Kanzler oder Baerbock Kanzlerin wird, dass sie dann bei Koalitionsverhandlungen der Union etwas diktieren könnten, das glaubt Müller nicht. Er winkt ab: »Eher gewinnt Die Linke den Wahlkreis, als dass Olaf Scholz oder Annalena Baerbock Kanzler werden.«

28 000 Euro beträgt das Wahlkampfbudget der Linken für Potsdam und Umgebung. Insgesamt 100 000 Wahlzeitungen sollen in Briefkästen geworfen oder auch an 100 Infoständen verteilt werden. 3000 kleine Plakate möchte die Partei aufhängen und etwa 40 große der Marke Eigenbau. 2000 Gespräche mit Wählern will man an Haustüren führen. Da sind die Genossen gefragt, von denen sich mehr als ein Dutzend zum Wahlkampfauftakt eingefunden haben: Junge und Alte, Männer und Frauen, Alteingesessene und Zugezogene.

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