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Linke-Wahlkampf: Nur Wunder sind unerklärlich
Über den Erfolg bei der Bundestagswahl, seine Voraussetzungen und Konsequenzen daraus
Kürzlich wurde die Wahlkampagne der Linken von der Fachzeitschrift »Politik & Kommunikation« zur politischen Kampagne des Jahres gekürt. Die Auszeichnung ist naheliegend. Wann je hat sich eine Partei während des Wahlkampfes fast verdreifacht? Wir erinnern uns: Als die Ampel im November 2024 zerbrach, lag Die Linke um drei Prozent. Am 23. Februar erzielte sie fast neun Prozent.
Die Geschichte ist außergewöhnlich, aber nicht beispiellos. Wie 2009, im Wahljahr mit dem historisch besten Wahlergebnis der Linken, erklang ein thematisches Medley: damals Mindestlohn, Weg mit der Rente erst ab 67 und raus aus Afghanistan – diesmal Mietendeckel, Preise senken und Tax The Rich. Andere Themen wurden in ein Oben-Unten-Framing eingebettet. Zugleich wurde auf eine eindeutige Haltung in Migrations- und Antidiskriminierungsfragen gesetzt. Unverzichtbar war auch die Botschaft der »Silberlocken«: »Ob fünf Prozent oder nicht – Die Linke kommt in den Bundestag.« Das stärkte die Wahrnehmung der Partei als realistische Option.
Ein Pfund war Heidi Reichinneks Pionierarbeit auf Tiktok und Instagram. Bereits zu Beginn des Jahres, als die Umfragen noch unter fünf Prozent lagen, füllte sie Säle. Die Content-Creator*innen und das Socialmedia-Team erzielten Reichweiten und Interaktionsraten, die alle anderen Parteien überflügelten. Das Ergebnis unter den jüngeren Wähler*innen zeugt davon: Laut Infratest dimap holte Die Linke bei den unter 25-Jährigen 25 Prozent (plus 17 Prozent gegenüber 2021) und war damit in dieser Altersgruppe stärkste Partei.
Die früh gestarteten Haustürbefragungen gingen nahtlos in einen engagierten Haustürwahlkampf über. Der Mietenrechner der Bundestagsgruppe und der Heizkostencheck erzählten die Geschichte der Kümmererpartei medienwirksam neu. Dazu kamen einprägsame Plakate und zwei starke Wahlkampf-Clips. Mit der Berichterstattung über den Parteitag Mitte Januar 2025 in Berlin verbreitete sich die Botschaft in der Gesellschaft, dass Die Linke es schaffen kann.
Und es kam etwas Glück hinzu: Der bereits ikonische Satz »Mein Name ist Jan van Aken, und ich finde, es sollte keine Milliardäre geben« traf auf die Bilder der Inauguration von Donald Trump mit einer Riege von Milliardären und des Hitlergrußes von Elon Musk. Die Gesellschaft verstand nun: Die Frage, ob wir uns Milliardäre leisten oder nicht, ist eine Frage der Demokratie und nicht nur ein linker Spleen. Die erste Fünf in den Umfragen kam in der Woche nach dem Parteitag und mit dem Beginn der Präsidentschaft Trumps.
Die Gesellschaft verstand nun: Die Frage, ob wir uns Milliardäre leisten oder nicht, ist eine Frage der Demokratie und nicht nur ein linker Spleen.
Nur selten in Wahlanalysen erwähnt, aber dennoch wichtig für viele, die 2021 noch Grüne und SPD wählten, war, dass Jan van Aken anders über Russlands Krieg in der Ukraine sprach. Er machte unmissverständlich kenntlich, dass Die Linke im Gegensatz zur »Kreml-Partei BSW« solidarisch mit dem angegriffenen Land ist. Seine erste Auslandsreise führte kurz nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im Oktober 2024 nach Kiew und Butscha. Diese Reise und auch seine weiteren Äußerungen zum Krieg bauten im progressiven Milieu vorhandene Wahlhinderungsgründe ab. Jan van Aken gab der seit dem Erfurter Parteitag bestehenden unzweideutigen Beschlusslage der Partei nun auch die notwendige Glaubwürdigkeit.
Um den Wahlerfolg in Gänze zu verstehen, hilft auch ein Blick zurück ins Jahr 2009. Damals traf Die Linke als anti-neoliberale Protestpartei den Zeitgeist. Milliarden für Bankenrettungen sowie der Sozialabbau der rot-grünen Regierung Schröder suchten einen oppositionellen Ausdruck. Die Linke war die Adresse, mit der sie ihre Stimme für ein Ende der neoliberalen Politik zum Ausdruck bringen konnten. Und sie taten es: Mit 11,9 Prozent erreichte Die Linke ihr Rekordergebnis.
In diesem Jahr schien es ein solches Momentum zunächst nicht zu geben. Aber Ende Januar geschah etwas in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte Ungeheuerliches: Erstmals seit 1945 wollten deutsche Konservative zusammen mit einer erkennbar faschistischen Partei ein Gesetz beschließen. In dieser Situation hielt Heidi Reichinnek die Rede, die dem Wahlkampf der Linken die entscheidende Dynamik gab: »Auf die Barrikaden.« Und während man Grünen und SPD anmerkte, dass sie eigentlich doch irgendwie mit Merz wollten, war es die Spitzenkandidatin der Linken, die in ihrer Rede dem Gefühl der Empörung von Millionen gegen die Zusammenarbeit mit der AfD emotional authentisch einen Ausdruck gab.
Thomas Lohmeier leitet im Vorstand der Linkspartei den Bereich Bürgerdialog, Medien und Öffentlichkeitsarbeit.
Die Menschen rannten der Partei im Wortsinne die Tür ein. Von rund 60 000 auf weit über 100 000 bis zum Wahltag vier Wochen später stieg ihre Mitgliederzahl und in den sozialen Medien explodierte die Zahl der Likes und Shares. Zunehmend bekannten sich nun auch reichenweitenstarke Influencer*innen dazu, Die Linke zu wählen. Auch Max und Tina Uthoff machten ihre Unterstützung öffentlich. Die Umfragewerte kannten fortan nur noch eine Richtung: nach oben.
Aber dass Die Linke in diesem Moment glaubwürdiger Kristallisationspunkt der gesellschaftlichen Empörung sein konnte, war keine Selbstverständlichkeit, sondern hatte eine politische Voraussetzung: den Bruch mit dem sozialdemokratisch-nationalen Flügel um Wagenknecht.
Wir erinnern uns: Die Partei und die gesellschaftliche Linke hatten einander in der Zeit verloren, in der Die Linke die Frage ausfechten musste, ob Solidarität mit Geflüchteten für sie verhandelbar ist, ob Grüne oder AfD die gefährlichste Partei ist und ob es unterschiedliche Maßstäbe für imperialistische Kriege gibt. Damit Partei und gesellschaftliche Linke wieder zueinander finden konnten, brauchte es klare Antworten. Seit dem Weggang von Wagenknecht und ihren Anhänger*innen gab es endlich keine Doppeldeutigkeiten mehr. Nur deshalb konnte Die Linke bei dieser Wahl als Bollwerk für Demokratie und gegen die faschistische Gefahr gelten und die Kumpanei von Union und AfD bei ihr einzahlen.
Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.
Der Bruch mit dem sozialdemokratisch-nationalen Flügel kam aber nicht von ungefähr. Er war innerparteilich umstritten und umkämpft. Erinnert sei an den Erfurter Parteitag 2022 und Versuche, Kompromisspapiere mit Wagenknecht zu formulieren. Die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan hatten lange Überzeugungsarbeit zu leisten, bis der Parteivorstand schließlich eine deutliche Botschaft an diejenigen aussandte, die sich auf den Weg nach rechts machen wollten: »Die Zukunft der Partei ist eine Partei ohne Sahra Wagenknecht.« Ohne diese Pionierarbeit wäre der Wahlerfolg nicht möglich geworden./
Auch wenn man zwischenzeitlich nicht immer sicher sein konnte, zeigten das Wahlergebnis und die Mitgliederentwicklung, dass die gesellschaftliche Linke auf eine Partei gewartet hat, die unzweideutig links ist. Sozial, humanistisch, internationalistisch, demokratisch, emanzipatorisch und in der Friedensfrage nicht zwischen gutem und falschem Imperialismus unterscheidend. Das Wahlergebnis zeigt auch, bestätigt durch Wählerwanderungen (1,3 Millionen Wähler*innen kamen von SPD und Grünen) und durch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass gerade in den progressiven Milieus eine sozial-humanistische Linke mit klarer Haltung gegen rechts als Bollwerk der Demokratie als notwendige politische Kraft gesehen wurde. Wie 2009 gelang es ihr so schließlich auch 2025, Ausdruck eines gesellschaftlichen Momentums zu werden.
Die Bertelsmann-Stiftung fasst den Wahlerfolg wie folgt zusammen: »Die neue Linkspartei hat ihren Wahlerfolg vor allem den eher progressiven Milieus zu verdanken. Mit 15 Prozent im postmateriellen und 17 Prozent im neoökologischen Milieu hat sie den Grünen in deren Kernwählermilieus Konkurrenz gemacht.« Weil man annehmen darf, dass diese Wähler*innen-Gruppen recht klare politische Wertvorstellungen hinsichtlich Demokratie und Antifaschismus haben, bleibt es für Die Linke ratsam, dieses Fundament auch auf dem Weg zur organisierenden Klassenpartei weiter zu pflegen. Die Wähler*innen dieser Milieus, politisch volatil und stets prüfend, welche Partei im progressiven Lager ihnen ein interessantes Angebot macht, bleiben nicht einfach so. Sie an Die Linke zu binden, wird eine der vornehmsten Aufgaben der Partei sein.
Nur aufbauend auf diesem Fundament kann der Weg zu einer »organisierenden Klassenpartei« erfolgreich beschritten werden. Die Verankerung in den progressiven Milieus ist sowohl die elektorale als auch die aktive Basis, um andere Milieus der Arbeiter*innenklasse mittels direktem Gespräch, sozial-popularer Ansprache und wachsenden Wahlerfolgen zu erschließen. Verliert Die Linke diese Milieus wieder an Grüne und SPD, wird der Weg zu prekären oder traditionellen Milieus, in denen viele abhängige Beschäftigte verortet sind, nicht einfacher, sondern schwerer. Es wird dann an den personellen Ressourcen für die Strategie der organisierenden Klassenpolitik fehlen. Und es sollte auch nicht übersehen werden, dass die Partei nicht nur durch konkrete Angebote wie Hausgespräche, Heizkostenchecks oder »Linke hilft« attraktiv für traditionelle oder prekäre Milieus wird. Auch Wahlerfolge machen sexy. Und dafür sind »postmaterielle« Milieus unerlässlich, wie die Bundestagswahl gezeigt hat.
Dass die Partei sich aber nun das Konzept der klassenpolitischen Orientierung, das bereits Katja Kipping und Bernd Riexinger mit der »verbindenden Klassenpolitik« auf den Weg brachten, offenkundig in der Partei als »organisierende Klassenpolitik« durchsetzt, ist eine positive Entwicklung. Diese gemeinsame strategische Fokussierung ist für kommende Erfolge nicht zu unterschätzen. Lange Zeit fehlte der Partei eine gemeinsam getragene Strategie.
Daneben muss aber gerade angesichts der kommenden Landtagswahlen, insbesondere im Osten, und der nächsten Bundestagswahl – nach denen auch Kooperationen zwischen Union und AfD nicht undenkbar sind, wie uns jüngst das Wahldesaster bei den Verfassungsrichtern wieder zeigte – auch die parlamentarische und machtpolitische Ebene in den strategischen Blick genommen werden. Die Linke wird bei diesen Wahlen auch entschieden ausstrahlen müssen, dass sie die AfD aus jeder Regierung fernhalten will. Denn gerade für die »postmateriellen« und eher großstädtischen Wählergruppen, die Die Linke haben so stark werden lassen, ist die Verteidigung der Demokratie ein elementares Anliegen. Auch deshalb gilt es, die organisierende Klassenpolitik mit einer die Demokratie verteidigenden Machtpolitik zu verbinden.
Als Vorbild kann dazu die politische Strategie von Bernie Sanders dienen. Er mobilisierte seine Anhängerschaft stets auch mit dem Ziel, das weltweit mächtigste Amt zu übernehmen. Auch der Vorwahlerfolg von Zohran Mamdani in New York verweist darauf, dass klare politische Fokussierung, Organisierung und die Bereitschaft zur Regierungsübernahme ein Erfolgsrezept für sozialistische Politik sein können. Trotz der Unterschiede in den politischen Systemen Deutschlands und der USA kann Die Linke ihre Strategie durchaus an die des populären US-Senators anlehnen. Warum nicht die Rolle des »Sanders-Flügels« im deutschen progressiven Parteienspektrum einnehmen: radikal-reformerisch, mobilisierend, machtbewusst?
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