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Gegen den linken Todestrieb
Mit konsequenter sozialistisch-antimilitaristischer Oppositionspolitik kann Die Linke stärkste Kraft diesseits der Union werden
Das Jahr 1933 prägt die linke Vorstellungswelt. Als 1989 mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus die linke Bewegung in all ihren Strömungen in eine tiefe ideologische Krise geriet, da verschwand das Pro(-sozialistische) und übrig blieb eine radikale Linke der Antis: antifaschistisch, antirassistisch, antisexistisch, antinational, anti-homophob, anti-speziesistisch, antideutsch. Worauf sich im Bündnis »Nie wieder Deutschland« noch alle einigen konnten, war: Nie wieder Faschismus, bloß kein »Viertes Reich«.
»Gegen rechts« ist bis heute der kleinste gemeinsame Nenner dieser »gesellschaftlichen Linken«, des »linken Lagers«, der »fortschrittlichen Milieus« geblieben. Bloß kein neues 1933. Die AfD erscheint als die Wiedergängerin der NSDAP. Entsprechend müsse alles getan werden, um ihre Machtbeteiligung zu verhindern. Einerseits müssten die »demokratischen Parteien« (Heidi Reichinnek) von Linke bis CDU/CSU die »Brandmauer« aufrechterhalten. Dafür signalisiert man Gesprächsbereitschaft, damit die CDU nicht demnächst in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern das erste Bündnis mit der AfD schließt. Andererseits müsse eine »Machtoption« der »drei progressiven Parteien« (Jan Schlemermeyer) – Linke, SPD, Grüne – vorbereitet werden. Dafür lichteten sich jüngst diverse Politiker wie Reichinnek und Ates Gürpinar in R2G-Dreierselfies ab.
Zunächst einmal ist die Vorstellung, Die Linke könnte die Union davon abhalten, ein solches Bündnis einzugehen, eine völlige Überschätzung der eigenen Macht. Wenn die Union die neuen Mehrheiten für eine »bürgerliche Renaissance« (Merz-Berater Andreas Rödder) nutzen will, wird sie es tun.
Dann ist auch klar, dass Die Linke genau das verlieren würde, was sie im Wahlkampf von allen anderen Parteien unterschied: Ihre Glaubwürdigkeit des »Alle wollen regieren, wir wollen verändern!«. Die Partei würde SPD und Grüne noch weniger kritisieren, damit aber 2021 wiederholen, als man sich gegenüber diesen beiden überflüssig machte und bei 4,9 Prozent landete, gefolgt von einer Spirale des Bedeutungsverlusts.
Der Gedanke, die AfD anders zu schlagen als durch die Allparteienkoalition der »demokratischen Parteien«, ist schier undenkbar. Er muss aber gedacht werden.
Des Weiteren ist klar, Bündnisse mit SPD und Grünen haben keine Geschäftsgrundlage: Die SPD ist heute die von Klingbeil und Pistorius, nicht von Mützenich und Stegner; die Grünen sind ebenfalls pro Hochrüstung und aufs Engste mit dem US-Imperium und seiner Politik verzahnt, durch eine neue Blockkonfrontation – die Abkopplung des globalen Südens und der EU von China – ihren relativen Abstieg in der Weltordnung und den Aufstieg Chinas und des globalen Südens zu verhindern. Die Linke ist also auf die Rolle der konsequentesten Opposition festgelegt, zumal ihre verteilungs- und klimapolitischen Forderungen jetzt in einen Gegensatz zur Hochrüstung geraten, da der Schuldendienst Sozialabbau erzwingt.
Es ist also auch klar, was Die Linke als kleinerer Faktor im Verhältnis zu SPD und Grünen an Kompromissen anbieten müsste, um sich regierungsfähig zu machen: Es wäre für ein paar Brotkrumen wie öffentliche Investitionen und ein wenig klimapolitischen Wirtschaftsumbau in jedem Fall der Kotau vor Militarismus und Sozialabbau. Die Orientierung auf Rot-Rot-Grün würde also Die Linke in eine rechte Partei verwandeln, eine Partei, die rechte Politik macht und die, weil sie die herrschende Politik mitträgt, ihre eigenen Ziele aufgibt.
Das würde Die Linke nicht nur diskreditieren und zerstören. Sie würde am Ende nicht mal das instrumentelle Ziel verwirklichen, die AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern, denn eine Regierung mit SPD, Grünen oder gar CDU hätte natürlich kein Projekt, würde natürlich die Wurzeln des rechten Aufschwungs nicht beheben, würde vermutlich nicht mal vier Jahre halten, müsste in jedem Fall die Parteien beschädigen, den Eindruck der Wahlmanipulation, der Austauschbarkeit erwecken, der AfD den Nimbus des Antisystemischen überlassen, obschon diese sich gerade rapide establishmentisiert: pro EU, pro Euro, pro Nato, pro USA, pro Hochrüstung, pro Staatsräson Israel-Unterstützung und so weiter. Es würde bedeuten, dass die – an sich, durch konsequente Oppositionspolitik schlagbare – AfD dann mit vierjähriger Verspätung die Macht übernimmt, und das noch viel stärker und dann ohne eine linke Opposition. Das »kleinere Übel« würde somit das allergrößte Übel schaffen.
Warum sollte eine sozialistische Partei einen solchen Kamikazekurs einschlagen? Woher kommt der linke Todestrieb? Der Grund: Da die AfD mit 1933 verbunden wird, ist allein der Gedanke, die AfD anders zu schlagen als durch die Allparteienkoalition der »demokratischen Parteien«, schier undenkbar.
Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.
Er muss aber gedacht werden. Es bedarf heute einer Debatte über die Qualität des rechtsautoritären Nationalismus an der Macht. Eine Machtbeteiligung der AfD ist nicht das Ende vom Lied. Die AfD ist nicht die NSDAP. Trump, Meloni, Wilders, Kickl – sie sind schlimm, aber alle nicht Hitler. Trump offenbart starke illiberale Tendenzen und plant den autoritären Staatsumbau, aber Bernie Sanders und Zohran Mamdani sitzen nicht im KZ, sondern führen den Widerstand an. Die USA wurden mit der Wahl 2024 politisch nach rechts verschoben. Eine Faschisierung der US-Gesellschaft aber hat nicht stattgefunden. Trump hat kein Mandat für seine Politik. Er wird wieder abgewählt werden. Mamdani holte ein Rekordvorwahlergebnis für den demokratischen Sozialismus und wird wohl New Yorker Bürgermeister, ein Fingerzeig für die Sanders-Demokraten auf 2027/2028.
Auch in Europa gilt: In Italien, Holland, Österreich und so weiter sind weder die linken Parteien noch die Gewerkschaften verboten, selbst in Polen konnte man die PiS-Partei abwählen. Auch in Brasilien folgte auf Bolsonaro wieder Lula. Maximal könnte die Machtbeteiligung der harten Rechten ein Italien 1922 sein. Aber selbst das ist unwahrscheinlich. Ein Deutschland 1933 ist sie nicht.
Vermutlich wird Merz die SPD so lange in der Regierung behalten, bis sie ihre Schuldigkeit – Senkung der Körperschaftssteuer, Industriestrompreis und andere Geschenke an Konzerne und Milliardäre, Aufhebung der 40-Stunden-Woche, Rückkehr von Hartz IV, Hochrüstung und so weiter – getan hat. Dann wird er 2027/2028 einen Koalitionswechsel zur AfD vollziehen, wie die FDP 1983 zugunsten der Kohl-Kanzlerschaft, um so eine Situation zu vermeiden, in der die AfD womöglich als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl 2029 hervorgeht.
Die Linke muss dem nicht tatenlos zusehen. Sie kann bis dahin mit konsequenter sozialistisch-antimilitaristischer Oppositionspolitik die stärkste Kraft links der Union werden. Und sie wird die Chance bekommen, eine hart rechte Regierung von Union/AfD zu stellen. Die Aufgabe besteht darin, die eigene Macht gleichzeitig nicht zu überschätzen (Schwarz-Blau verhindern) und nicht zu unterschätzen (Schlagbarkeit der rechtsbürgerlichen Regierung von Union und AfD).
Ingar Solty, Jahrgang 1979, ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist der Autor der im Brumaire-Verlag erscheinenden »Edition Marxismen«, deren Bände 4 bis 6 demnächst erscheinen.
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