Gruppenbild mit Scholz

SPD-Spitzenmann Olaf Scholz könnte tatsächlich Kanzler werden. Für Georg Fülberth ist aber die Oppositionsbank der richtige Platz für die Genossen

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Ausgang der Bundestagswahl im Herbst ist ungewiss. Eines aber kann mit Sicherheit vorausgesagt werden: wieder einmal Demoskopie-Schelte. Das war oft so: Sind die ersten Hochrechnungen da, stellt sich heraus, dass die Umfrageinstitute danebengelegen haben. Ihrem Prestige tut das aber allenfalls nur kurzfristig Abbruch. Kommt die nächste Wahl, klammert sich das verunsicherte Publikum wieder an die Umfragen.

Diesmal gibt es in den Prognosen ein besonders schroffes Auf und Ab. Man regt sich über die jeweils jüngste Vorhersage auf und vergisst, dass ihre Verfallszeit sehr kurz ist.

Dies gilt auch für die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage vom 24. August. Demnach habe die SPD erstmals die Union hinter sich gelassen. Wir tun jetzt mal so, als wären wir schon am 26. September 2021, 18:01, und die Forsa-Ergebnisse seien Realität. Dann sähe es so aus: SPD 23 Prozent, CDU/CSU 22, Grüne 18, FDP zwölf, AfD zehn, Linke sechs.

SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz müsste sich, wollte er Bundeskanzler werden, um eine der folgenden Varianten bemühen: Rot-Rot-Grün, Ampel, »Deutschland-Koalition« aus CDU/CSU, SPD und FDP oder doch noch einmal Große Koalition. Was ist davon zu halten?

Rot-Rot-Grün käme auf 47 Prozent. Das ist noch nicht ganz die absolute Mehrheit, die Aussicht darauf könnte aber die drei Parteien anspornen, es im Endspurt doch noch zu versuchen. Von einer solchen gemeinsamen Anstrengung ist gegenwärtig nichts zu spüren, auch nichts von einer inhaltlichen Vorbereitung. Dafür gibt es mehrere Gründe: Legten sich Grüne und SPD auf eine Linkskoalition fest, bräche im Wahlkampf ein Shitstorm über sie herein. Halten sie sich deshalb vor dem 26. September von einer Festlegung fern und koalieren danach dennoch mit der Linkspartei, kann man sich den Dauerbeschuss durch Kapital und Mainstream-Medien schon jetzt vorstellen. Scholz und die grüne Spitzenfrau Annalena Baerbock haben keine Lust auf Rot-Rot-Grün. Die Grünen werden sich auf ein solches Experiment als Juniorpartner nur einlassen, wenn sie keine andere Option haben.

Eine Ampel-Koalition (SPD, Grüne, FDP) hätte eine deutliche Mehrheit, ist aber inhaltlich nicht vorstellbar. Die mittlerweile sozialpolitisch etwas reumütig gewordene SPD oder die marktliberale Lindner-Partei würden sich noch unglaubwürdiger machen, als man bislang von ihnen gewöhnt war.

Gleiches gälte für die sogenannte Deutschland-Koalition (57 Prozent). Die SPD würde den Einzug ins Kanzleramt mit der völligen Dominanz ihrer bürgerlichen Partner bezahlen. Auch ist nicht vorstellbar, dass die Union sich für eine Juniorpartnerschaft unter Führung der SPD hergibt. Gleiches gälte für eine neue Große Koalition, die es laut Forsa aktuell ohnehin nur auf 45 Prozent brächte.

Entscheidend aber ist: Union und FDP haben für sich Lukrativeres vor. Gleiches gilt auch für die Grünen.

Damit sind wir bei dem Gravitationspunkt angelangt, auf den das deutsche Parteiensystem hinsteuert: Jamaika, 52 Prozent. Darauf läuft es - folgt man den Verlautbarungen von führenden Kapitalvertretern und der Tendenz der großen Medien - schon seit längerer Zeit hinaus. Baerbock wurde hochgeschrieben und -gesendet. Siemens-Spitzenmann Joe Kaeser bekundete öffentlich Sympathie für ihre Partei. Im Ergebnis waren die Grünen zu stark und wurden in ihrem Anspruch aufs Kanzleramt unangenehm. Sie mussten gestutzt werden - und das ist jetzt gelungen. Warum also sollten FDP und Grüne sich auf das Abenteuer eines Regierungseintritts unter einem Kanzler Scholz einlassen?

Für den neutralen Beobachter (und die neutrale Beobachterin) hat die Sache ihren Reiz: Endlich nimmt das Parteiensystem eine logische klassenpolitische Struktur an: eine schwarz-grün-gelbe Mitte, eingerahmt einerseits von SPD und der Linken, andererseits rechts von der AfD. Der SPD allerdings würde sich darüber nicht freuen, denn sie will ja auch Mitte sein.

Schön wäre es, sie käme wenigstens nach der Bundestagswahl zu der Einsicht, eine neue, objektive, nämlich oppositionelle Rolle einzunehmen. Und die Linkspartei gleich mit ihr.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal