Arbeiter im Widerstand

Stolperstein für den Kommunisten Arthur Magnor in Bergfelde verlegt

Der Stolperstein für Arthur Magnor, bevor Gunter Demnig ihn einsetzt.

Foto: nd/Andreas Fritsche
Der Stolperstein für Arthur Magnor, bevor Gunter Demnig ihn einsetzt. Foto: nd/Andreas Fritsche

»Wir wollen hoffen, dass noch alles gut wird«, schrieb Lucie ihrem Vater, dem Schlosser Arthur Magnor, im Januar 1945. Wenige Tage später wurde er von den Faschisten hingerichtet. In ihrem Brief erwähnte Lucie die damals zwei Jahre alte Enkelin Helga. Diese Enkelin, die inzwischen schon eine halbe Ewigkeit in München lebt, ist extra angereist, um dabei zu sein, als am Donnerstag in Hohen Neuendorf (Oberhavel) ein Stolperstein zur Erinnerung an ihren ermordeten Großvater verlegt wird.

Hier, an der Wandlitzer Straße 11 im Ortsteil Bergfelde, hatte der Schlosser in den 1920er Jahren ein Grundstück gekauft, um wenigstens an den Wochenenden der Enge der Mietskasernen im Berliner Arbeiterbezirk Wedding entfliehen zu können. 1930 zog er mit seiner Familie ganz raus und pendelte zur Arbeit in die Hauptstadt. Später, in der NS-Zeit, nahm er Obst und Gemüse aus seinem Garten mit und steckte es Zwangsarbeitern in seinem Betrieb zu. Schließlich versteckte er sogar den Zwangsarbeiter Gregori Wassiliew in seinem Haus in Bergfelde. Im Sommer 1944 wurde Magnor denunziert und verhaftet. Dass er Wassiliew das Leben retten wollte, mit diesem über Politik diskutierte und im Radio sogenannte Feindsender hörte, wurde dem Schlosser zum Verhängnis.

Er wählte bis 1933 nicht nur linke Parteien, wie auch die Nachbarn in Bergfelde, die fast ausschließlich Berliner Arbeiter waren – er trat auch der KPD bei und gehörte bald zur illegalen Organisation von Anton Saefkow und Bernhard Bästlein. Rund 500 Mitglieder zählte ihr Arbeiterwiderstand, berichtet Antons Saefkows Tochter Bärbel bei der Zeremonie in Bergfelde. 100 von ihnen bezahlten mit ihrem Leben für ihren Mut, erzählt die Historikerin. An etwa 50 erinnern Straßen oder Gedenktafeln, für die Übrigen sind inzwischen an ihren letzten Adressen in Berlin Stolpersteine verlegt worden. Fünf aber wohnten außerhalb der Großstadt, so wie Arthur Magnor. Jetzt gibt es also auch für ihn einen Stolperstein. Bärbel Schindler-Saefkow freut sich darüber.

Auch Magnors Enkelin Helga Greger ist gerührt. Sie hat keine eigene Erinnerung an ihren Großvater. Sie war zu klein damals. Aber es gibt ein Foto, auf dem er sie auf dem Arm hält. Greger konnte einiges ausgraben und zur Aufklärung über das Schicksal ihres Großvaters beitragen – hat dabei aber auch selbst noch Dinge erfahren, die sie zuvor nicht wusste. Es existiert auch ein Foto, das Arthur Magnor in seinem Garten in Bergfelde zeigt – mit seiner zweiten Ehefrau. Die erste Frau, Helga Gregers Großmutter, war früh gestorben. Dieses Bild aus dem Garten steht am Donnerstag vor dem Eingang zur Wandlitzer Straße 11, als der Kölner Künstler Gunter Demnig den Stolperstein einpasst, auf dem zu lesen ist, dass Arthur Magnor am 22. Januar 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet wurde.

Gunter Demnig, inzwischen 73 Jahre alt, hätte 1992 nicht gedacht, dass aus seiner damaligen Idee zu den Stolpersteinen so etwas Großes wird. Inzwischen liegen schon etwa 80 000 in fast ganz Europa, und es werden immer mehr. Selbst während der Corona-Pandemie ging es weiter. Demnig musste dieses Jahr sogar noch drei weitere Helfer für sein Projekt einstellen und eine kleine Werkstatt in Amsterdam einrichten, da die Nachfrage dort so groß war, dass es eine Wartezeit von vier Jahren für bestellte Steine gab, wie er erzählt. Insgesamt elf Leute arbeiten jetzt bei Gunter Demnigs Stolperstein-Projekt, er selbst eingerechnet.

Während der Lockdowns wurden weiter Steine angefertigt – und verschickt. Die Bauhöfe der Kommunen verlegten die Steine und machten anschließend Fotos für die Angehörigen der Naziopfer, die wegen des Infektionsschutzes nicht dabei sein durften. Zum Glück ist das jetzt wieder möglich.

»Ich war schon oft zu Gedenkveranstaltungen in Hohen Neuendorf. Das hier ist die größte«, sagt Bärbel Schindler-Saefkow. Mehr als 50 Menschen sind an der Wandlitzer Straße erschienen und harren im einsetzenden Regen aus. Anschließend ziehen sie weiter in den Stadtkern von Hohen Neuen᠆dorf, wo an der Florastraße 5 und gleich nebenan am Gartenweg 4 zwei weitere Stolpersteine für die jüdischen Naziopfer Laura Ullmann und Willy Gerber verlegt werden.

Willy Gerber, geboren 1892 als Sohn eines Bankiers und selbst von Beruf Bankkontrolleur, wurde als Jude im März 1943 in Potsdam von der Gestapo festgenommen und kam am 17. Juli 1943 im Konzentrationslager Auschwitz um. Den Bau seines Hauses am Gartenweg 4 in Hohen Neuendorf hatte sein Bruder Martin finanziell unterstützt. Martin Gerber starb 1944 im KZ Theresienstadt.

Die Deportation in ein Vernichtungslager blieb Laura Ullmann erspart. Sie verstarb im Alter von 82 Jahren im Mai 1941 in ihrem Haus an der Florastraße, wo sie einst mit ihrer Schwester Helene ein Textilgeschäft hatte. Den gelben Judenstern musste Laura niemals tragen. Der war vor ihrem Tod noch nicht eingeführt. Und doch war sie in den letzten Jahren ihres Lebens Diskriminierung und Drangsalierung ausgesetzt, ist damit ein Naziopfer und soll einen Stolperstein haben, erläutert der Kulturkreis Hohen Neuendorf e.V., der sich nun auch um die Stolpersteine acht, neun und zehn in der Stadt kümmerte.

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