• Berlin
  • Antiziganismus-Vorwürfe

Jugendverwaltung in Erklärungsnot

Beim Notdienst Kinderschutz wurden über Jahre regelwidrig Daten zu Sinti und Roma erfasst

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Notdienst Kinderschutz hatte im Zuge der Datenerfassung bei Kinder- und Jugendschutzfällen über Jahre eine Unterkategorie »Sinti/Roma« etabliert. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie auf eine Schriftliche Anfrage des Berliner Grünen-Abgeordneten Sebastian Walter hervor.

»Ich möchte hier nichts falsch skandalisieren«, sagt Walter zu »nd«. »Aber eine solche Datenerhebung ist eine sehr sensible Angelegenheit, nicht zuletzt aufgrund der deutschen Geschichte«, so der antidiskriminierungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mit Blick auf die Verfolgung der Sinti und Roma während der NS-Zeit. Nicht ohne Grund dürfe seither die Zugehörigkeit zu nationalen Minderheiten, zu denen auch Sinti und Roma gehören, staatlicherseits nicht mehr erfasst werden.

Dass diese Daten nun ausgerechnet bei dem Jugend- und Familiensenatorin Sandra Scheeres (SPD) unterstehenden Krisendienst für Kinder und Jugendliche erhoben wurden, sei auf jeden Fall massiv erklärungsbedürftig, so Sebastian Walter. Umso irritierender finde er, dass genau diese Erklärung bisher ausgeblieben sei. »Die Antwort der Senatsverwaltung auf meine Anfrage hat mich jedenfalls eher entsetzt«, sagt der Grünen-Politiker.

Zwar erklärt Jugend- und Familien-Staatssekretärin Sigrid Klebba (SPD) hierin, dass man Walters Anfrage »zum Anlass genommen« habe, »dieses Merkmal nicht mehr zu erheben«. Welchem Sinn und Zweck die Datensammelei diente, lässt sie aber offen. Klebba verweist lediglich auf den 2013 vom damaligen rot-schwarzen Senat verabschiedeten Aktionsplan Roma. Mit dem sollen Maßnahmen zur Einbeziehung ausländischer Roma und zur Bekämpfung von Antiziganismus ressortübergreifend gebündelt werden.

Allein: Eine Erhebung der Zugehörigkeit zur Minderheit der Sinti und Roma ist hier überhaupt nicht vorgesehen, kritisiert etwa der feministische Romnja-Verein Romani Phen. »Zudem erscheint nach dieser Begründung fraglich, warum dann die Zugehörigkeit von Sinti*zze erfasst wird, wenn sich der Aktionsplan lediglich auf ›ausländische Roma‹ bezieht«, so Romani Phen in einer geharnischten Stellungnahme zu der in ihren Augen rassistisch motivierten Datenerhebung.

»Die Antwort ist eine Katastrophe«, sagt auch Hamze Bytyci zu »nd«. Wie Romani Phen hält auch der Vorsitzende des Vereins RomaTrial und Sprecher für Sinti- und Roma-Angelegenheiten im Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen Klebbas Hinweis auf den ohnehin nur »gut gemeinten, aber zum Teil eben schlecht gemachten« Aktionsplan für »nicht schlüssig«. Davon abgesehen: »Dass diese Daten überhaupt erhoben wurden, hat mich überrascht, verblüfft und erzürnt«, sagt Bytyci, der zugleich Mitglied im Berliner Linke-Landesvorstand ist: »Wer entscheidet so etwas? Wie kann das sein?«

Nicht minder entsetzt über den Vorgang ist man bei BARE, einem vor Kurzem gegründeten Bündnis gegen Antiziganismus. »Die behördliche Erfassung von Sinti und Roma ist in Deutschland verboten und der Vorfall ist ein Skandal«, sagt BARE-Aktivist David Paraschiv zu »nd«. Auch Paraschiv erinnert an die dunkle Vergangenheit der ethnischen Erfassung von Roma und Sinti in Deutschland, »die zu Deportationen und Mord führte«. »Wir fordern vollständige Transparenz zu der Datenerfassung sowie der noch daran beteiligten Behörden«, so der ausgebildete Erzieher.

Beim Berliner Notdienst Kinderschutz selbst möchte man sich auf nd-Nachfrage nicht zu Details äußern. Nur so viel: Die Erfassung der Sinti- und Roma-Zugehörigkeit bei Kinder- und Jugendschutzfällen habe in erster Linie internen statistischen Zwecken gedient, wobei die Daten nicht an Dritte wie die bezirklichen Jugendämter weitergereicht worden seien. Und ja, es sei richtig: Die entsprechenden Daten werden nun nicht mehr erhoben.

Für den Sinti- und Roma-Sprecher Hamze Bytyci macht der Fall letztlich aber dennoch eines deutlich: »Es gibt ganz klar und generell in allen Berliner Verwaltungen einen großen Bedarf an Schulungen und Aufklärung im Kampf gegen Antiziganismus.«

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