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Der Ellenbogen in der Prioritätenliste

Das Team einer gegen Corona impfenden Facharztpraxis kämpft sich durch die Pandemie

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

»Von der Impffront«: Der Titel klingt martialisch, der Text ist jedoch mit leichter Hand geschrieben, nah am Alltag, nah an den Patientinnen und Patienten einer HNO-Praxis. Von Letzteren lassen sich einige auch gleich in den ersten Tagen, an denen das möglich ist, gegen Sars-CoV-2 impfen.

Kurz und pointiert ist etwa das Arztgespräch mit der Mutter zweier Kinder wiedergegeben, anfangs über Polypen, am Ende über das eindeutige »Verbrechen« einer Pharmaindustrie, die in nur einem Jahr eine Impfung entwickelte. In einer nicht so kleinen Klientel scheint sich die Angewohnheit auszubreiten, alle, aber auch alle Symptome, die nach einer Impfung auftreten (damit sind nicht direkte Impfreaktionen gemeint), nur noch darauf zu beziehen. Die Anekdoten aus dem Impfalltag wären lustig, wenn Fachärzte unendlich viel Zeit hätten und hohen Unterhaltungsbedarf. Und wenn nicht, wie wohl schon fast die Regel, in impfenden Praxen über Wochen mindestens eine Person mit Voranmeldungen, Absagen, neuen Terminvereinbarungen nur für die Immunisierung beschäftigt wäre.

Abends sind Impfdosen übrig geblieben, weil Menschen nicht zum Termin erschienen. Andere kommen nicht zur Zweitimpfung wieder. Für den Arzt Rainer Jund bleibt das eine Leerstelle, die er nicht füllen kann. War dieser Patient dann woanders? Oder ist er verstorben? Auf der anderen Seite ist nie klar, ob, warum und wann die nächsten Ampullen in die Praxis kommen. Auch nach Wochen ist die Lieferung des Apothekenboten »eine Überraschung«. Hinzu kommen fehlendes Schutzmaterial und wochenlanges Improvisieren in dieser Frage.

Der Autor macht die Erfahrung, so etwas wie ein Psycho-Mülleimer zu sein: Viele Patienten stellen ihre Meinung in den Raum, der Arzt will das nicht diskutieren, muss es sich aber anhören. Bizarre Sätze, Lebensbilanzen, die sich auf eine weit zurückliegende Vergangenheit beziehen - kein Zusammenhang zur Corona-Impfung in Sicht. Hinzu kommt: Die Impfkandidaten sind häufig eben keine Patienten im engeren Sinn, sie waren nie in der Praxis und haben keine HNO-Beschwerden. Das Argument, im Vergleich mit den großen anonymen Impfzentren sei in den Arztpraxen der Patient schon bekannt und besser zu beraten, läuft unter diesen Bedingungen ins Leere.

Der Autor sieht eine »Erwartung an die moderne Medizin, die sich aus so manchem Kundenkönig hervordrängt«. Die ist so neu nicht: Etliche Patienten sind eher nicht bereit, die kleinste Mühe über die des Rezept-Einforderns hinaus auf sich zu nehmen. Der Arzt hat in diesem System wenig Zeit, erkennt aber auch, dass er nicht zu den Ursachen des krankhaften Geschehens vordringen kann, wenn der Patient blockiert.

Was auch dieser Arzt nicht will: Diskussionen über Impfpriorisierungen führen. Was aber als Thema - eben aus diesem Anspruchsdenken heraus - unvermeidbar ist. Da hilft nur klare Kante. Aber: »Der Ellenbogen drängt sich in die Prioritätenliste.«

Bei aller Kurzweiligkeit des Alltagsgeschehens in einer eigentlich fachfremd überlasteten Arztpraxis: Jund macht sich seine Gedanken darüber, warum Menschen sich so verhalten, wie sie das aktuell tun. Er nimmt sich nicht aus dieser Betrachtung heraus, bemerkt die eigene Freude am empathischen Verhalten anderer, das ihn selbst bestärkt und durchhalten lässt. Er versucht, manche Pandemie-Denke zu verstehen, etwas, das auch mit Informationsüberflutung und Vertrauensverlust zu tun hat. Dennoch findet er zu einem optimistischen Ausblick. Auch deshalb eine empfehlenswerte Lektüre, insbesondere für das Wartezimmer.

Rainer Jund: Von der Impffront. Finanzbuchverlag München, br., 144 S., 10 €.

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