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  • WM-Qualifikation der Fußballerinnen

Siegen lernen in den USA

Dzsenifer Marozsan will endlich ihre Führungsrolle im DFB-Team ausfüllen

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

In den ersten Tagen auf amerikanischem Boden fühlte sich Dzsenifer Marozsan wie im falschen Film. Vor allem wähnte sich die 29-Jährige in der falschen Sportart, eher beim Tennis als beim Fußball. »Oft geht der Ball einfach übers Mittelfeld drüber. Sportlich war es echt schwierig. Ich musste meine Spielweise anpassen.« Genau wie die französische Nationaltorhüterin Sarah Bouhaddi und die Weltklassestürmerin Eugénie Le Sommer ist auch die 104-fache deutsche Nationalspielerin von ihrem Arbeitgeber Olympique Lyon an den Schwesterklub OL Reign ausgeliehen.

Die Edeltechnikerin sieht in dem bis Jahresende befristeten Intermezzo im Weltmeisterland USA einen persönlichen Erfahrungsprozess, von dem auch die Fußballerinnen des DFB zum Start der WM-Qualifikation gegen Bulgarien in Cottbus am Sonnabend und am darauffolgende Dienstag gegen Serbien in Chemnitz profitieren sollen. Denn: »Die Qualität der Teamkolleginnen ist ein Geschenk und jedes Spiel in der US-Profiliga NWSL total ausgeglichen. All das hat mir über die Jahre in Europa vielleicht gefehlt. In Amerika gibt es keine tiefstehende Mannschaft, da wird kein Bus hinten geparkt«, sagte Marozsan am Mittwoch in einer digitalen Medienrunde aus dem Teamquartier in Dresden.

»Wir finden es klasse, dass sie den Schritt raus aus der Komfortzone gemacht hat. Das bringt sie noch einmal weiter«, glaubt Assistenztrainerin Britta Carlson, die in alle wichtigen Entscheidungsprozesse bei Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg eingebunden ist. Beide wissen: Um bei der EM-Endrunde 2022 in England und bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland besser abzuschneiden als bei den enttäuschend verlaufenen Turnieren 2019 (WM) und 2017 (EM), kann eine Spielgestalterin nicht schaden, die in Sachen Widerstandskraft das höchste Niveau erlebt.

Überdies spielt Marozsan aktuell an der Seite von Megan Rapinoe, der weltweit mit Abstand prominentesten Fußballerin. Die 36-jährige US-Amerikanerin hat als politisch engagierte Vorkämpferin eine Strahlkraft über den Sport hinaus. Was Marozsan über die Weltfußballerin von 2019 sagen kann: »Sie ist eine super Persönlichkeit, menschlich top. Sie ist bei uns der Clown der Mannschaft.« Über die »größeren Themen« habe sie aber »nicht gesprochen«. Was insofern ein bisschen schade ist, weil ja speziell auch die deutschen Fußballerinnen über verschiedene Ansätze versuchen, die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen. Aber vielleicht ist die in Budapest geborene und in Saarbrücken aufgewachsene Marozsan da einfach nicht die richtige Ansprechpartnerin. Vater Janos und Mutter Elisabeth sind übrigens mit in die USA gekommen und würden, obwohl sie kein Wort Englisch sprächen, dort nur »lieben und netten Menschen« begegnen.

Zu den Heimspielen des in Tacoma im Bundesstaat Washington angesiedelten Teams würden im Schnitt 3000 bis 5000 Zuschauer kommen, beim Derby gegen Portland wären es sogar 27 000 gewesen. »In den USA spielt gefühlt jedes zweite Mädchen Fußball«, meint Carlson. Was Marozsan dort am meisten beeindruckt, sei der enorm physische Stil. Ohne Kraft, Schnelligkeit und Athletik könne hier niemand bestehen. Und weil in unterschiedlichen Zeit- und Klimazonen gespielt werde, muss man »bei jedem Spiel ans Limit« gehen. Schön findet die deutsche Nummer zehn den Spielstil übrigens nicht.

Gleichwohl haben Rapinoe und Co. genau damit 2015 und 2019 die WM gewonnen. Zwei Turniere, die Deutschlands beste Fußballerin auch deshalb in unguter Erinnerung hat, weil sie nie die ihr zugedachte Führungsrolle ausfüllen konnte: 2015 knickte sie auf dem Kunstrasen in Kanada unglücklich um, 2019 zog sie sich im ersten Gruppenspiel gegen China bei einem bösen Foul einen Zehenbruch zu. Insofern wird 2023 die letzte Chance sein, einen prägenden Fußabdruck auf dieser Bühne zu hinterlassen. Marozsan hält trotz ihrer tragischen WM-Historie nichts davon, ein solches Turnier alle zwei Jahre auszutragen: »Eine WM sollte etwas ganz Besonderes sein. Das wäre dann nicht mehr so.«

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