Corona wird zum Trendverstärker

Die Bundestagswahl hat mehr Folgen für die Pandemie-Politik als diese für den Wahlausgang

Kaum ein halbes Jahr ist es her, da wurde angesichts der wieder eskalierenden Corona-Pandemie darüber diskutiert, ob die Bundestagswahl wie geplant Ende September stattfinden kann. Heute mutet die Debatte an wie aus einer anderen Zeit. Corona ist zwar nicht Geschichte, hat aber seinen tödlichen Schrecken verloren. Die bevorstehende Wahl hat dazu geführt, dass der Umgang damit fast schon fahrlässig geworden ist. Doch wird die Pandemie, die uns in den Ausnahmezustand versetzte und monatelang alle anderen politischen Themen an den Rand drängte, den Wahlausgang stark beeinflussen?

Für ein politisches Erdbeben oder eine Protestwahl wird Corona trotz der langen Dauer und spürbarer Ermüdungserscheinungen sicher nicht sorgen. Das liegt zum einen an der Gewöhnung der meisten ans Maskentragen, Testen und Abstandhalten, bei manchen auch an einen etwas laxen Umgang damit. Das Thema ist in den Hintergrund gerückt - nicht einmal jeder Fünfte findet es für die Wahlentscheidung am wichtigsten. Zum anderen stoßen die Maßnahmen nach wie vor auf breite Akzeptanz: Laut dem ZDF-Politbarometer von Mitte des Monats finden nur 22 Prozent diese übertrieben - hier dürfte sich vor allem das Wahlvolk von AfD und FDP tummeln. Hingegen finden 60 Prozent die Maßnahmen ganz richtig, weitere 16 Prozent im Grundsatz, auch wenn sie es gerne etwas strenger hätten. Dafür steht aber keine Partei, sondern eher Einzelpersonen wie SPD-Dauermahner Karl Lauterbach. Die Umfrage bildet zudem den breiten Konsens der größeren Parteien von links bis mitte-rechts über die Corona-Politik ab, der auch bei den Triells deutlich wurde: Maßnahmen ja, aber ohne Lockdown und Schulschließungen. Armin Laschet möchte es lediglich etwas lockerer, was beim konservativen Wahlvolk offenbar nicht gut ankommt; Markus Söder hätte hier eher gepunktet. Olaf Scholz und insbesondere Annalena Baerbock, die in einzelnen Berufsgruppen sogar eine Impfpflicht befürwortet, möchten es etwas weniger locker und sind für mehr soziale Abfederung.

Doch wie auch in anderen Politikfeldern gilt: Die Unterschiede zwischen den Parteien sind graduell, nicht grundsätzlich. Und so sorgt die Pandemie sicher nicht für eine Wechselstimmung, sondern sie verstärkt lediglich einen länger bestehenden Trend: Es gibt immer mehr Wechselwähler. Da sich alle ähneln, entscheidet womöglich ein guter Auftritt in der Talkshow, ein unsympathischer Kandidat oder die individuelle Wichtigkeit eines einzelnen Themas, wo das Kreuzchen gesetzt wird. Verstärkt wird das noch dadurch, dass jede der im Bundestag vertretenen Parteien, selbst die AfD, um die Mitte der Gesellschaft buhlt - nur wird diese ethnisch, sozial oder kulturell unterschiedlich definiert. Die Wahlentscheidung wird so aber stärker von Egoismus geprägt: Ich wähle diejenigen, die mir und meinesgleichen am meisten nützen. So viel dazu, dass Corona die Solidarität in der Gesellschaft stärken werde, was zeitweilig in Feuilletons fantasiert wurde. Selbst die miesen Arbeitsbedingungen in Kliniken und Pflegeheimen stoßen auf kein allzu großes Echo beim Wahlvolk mehr.

Die Kehrseite der Medaille: Eine nennenswerte Gruppe geht nicht wählen,weil sie meint, die Parteien, die sich alle ähneln, dienten ihren Interessen nicht. Das führt zu einem »selbstexklusiven Moment«, wie es Forscher nennen: Leute, die sich benachteiligt fühlen, gehen nicht wählen, wodurch das Ergebnis zu ihren Ungunsten ausfällt. In der Summe könnte sich bewahrheiten, was im Juli in einer Sinus-Studie vorhergesagt wurde: »Pandemiebedingt zeigen sich auch die anderen Milieus noch etwas wahlmüde. Das könnte sich zu einem ›Corona-Effekt‹ verdichten, der die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021 spürbar verringert und ihre soziale Spaltung wieder vertieft.«

Interessanterweise ist die Quote der Nichtwähler und die der nicht gegen Covid-19 Geimpften ähnlich groß. Den Vergleich sollte man nicht überstrapazieren, aber gewisse Ähnlichkeiten der Gruppen gibt es doch: Hier finden sich überdurchschnittlich viele Leute mit geringer Bildung, mit Migrationshintergrund, Ostdeutsche - also diejenigen, die auch mehr Nichtwähler stellen. Und so ist die Pandemie für das parteipolitische System kein Einschnitt, sondern macht dessen Schwäche aufs Neue deutlich.

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