Fakten, Gerüchte und Fiktion

Robin Alexander über Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Abgerechnet wird eigentlich erst am Schluss. Robin Alexander versucht es mit seinem Report »Machtverfall« schon ein bisschen früher. Er zieht noch kein Fazit, schreibt keine Analyse, keine zeitgeschichtliche Untersuchung. Aber er kennt die Lust seines Publikums am Voyeurismus. Er zieht seine Leserinnen und Leser vor das Schlüsselloch, gewährt Einblicke in die Berliner Republik als eine Schlangengrube.

Es geht um die letzten Jahre, um den »jammervollen Zustand« der CDU - O-Ton Wolfgang Schäuble, der mit diesem Argument Armin Laschet als Kanzlerkandidat durchgesetzt hatte. Es geht um Corona, Masken und Impfstoff. Und es geht vor allem um Angela Merkel, die nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten von dessen Vorgänger Barack Obama umgestimmt wurde, doch noch einmal in Deutschland anzutreten: Ohne sie seien die Werte der westlichen Welt bei keinem mehr aufgehoben.

Dass sie die Rolle als »mächtigste Frau der Welt« nicht spielen konnte, lag an Corona. Statt als angesehene Staatenlenkerin mit Augenmaß der verlogenen Unvernunft von jenseits des Atlantiks entgegenwirken zu können, hat sie sich mit Ministerpräsidenten in stundenlangen Sitzungen und Videokonferenzen herumstreiten müssen.

Alexander hat das alles als stellvertretender Chefredakteur Politik der »WELT« beobachtet. Er vermischt Fakten, Gerüchte und etwas Fiktion. Das meiste dürfte tatsächlich so gewesen sein, wie er es beschreibt - umso schlimmer!

Das Urteil über Merkel kann derzeit noch nicht endgültig fallen, das über ein angebliches »Drama der deutschen Politik« (so im Untertitel) auch nicht. Allein eine abschließende Beurteilung von Merkels »Wir schaffen das« ist noch nicht möglich und wird angesichts von Hunderttausenden Flüchtlingen, die inzwischen immer ansehnlichere Beiträge zum deutschen Bruttoinlandsprodukt leisten, wohl anders als bei bisher vorschnellen Zwischenbilanzen ausfallen.

Zudem ist das Flüchtlingsdrama von Corona stark verdrängt worden. Aber auch die Bilanz der Pandemie wird am Ende wohl anders ausfallen. Fast 100 000 Tote sind ein grausames Opfer. Ein nahezu verlorenes Schuljahr ist nicht mehr aufzuholen. Im Vergleich mit anderen Ländern steht Deutschland jedoch noch viel besser da. Das zentralistisch regierte, durch zahlreiche Medizin-Nobelpreise wissenschaftlich hoch angesehene Frankreich, das sich nicht in »Ministerpräsidentenkonferenzen« zerfleischen musste, schneidet in allen messbaren Bereichen schlechter ab. Von Italien und Spanien ganz zu schweigen. Großbritannien hat erst beim Impfen etwas aufgeholt. Wenn irgendwann die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bilanziert werden, rückt die Bundesrepublik sicher wieder auf einen der vorderen Plätze.

Das ändert nichts an dem verheerenden Bild, das Alexander vom deutschen Corona-Management zeichnet. Folgt man seiner Darstellung, dann ist dieses Bild in erster Linie dem mit starkem Ego geführten Machtkampf innerhalb der CDU geschuldet, den sich Laschet, Markus Söder, Jens Spahn und Friedrich Merz mit einander widersprechenden Strategien geliefert haben und der in der Bevölkerung den Eindruck hinterlassen hat, das Land werde schlecht regiert. Keiner merkt, dass es besser - oder auch nur weniger schlecht - gelaufen ist als in vergleichbaren Ländern. Die nächste Bundesregierung wird sich des entscheidenden Defizits annehmen müssen, das in der Krise so unangenehm deutlich geworden ist: der blamable Zustand der Datenverarbeitung in Deutschland.

Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report. Siedler, 384 S., geb., 22 €.

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