Mehr Kommunismus wagen

KPÖ-Stadträtin Elke Kahr könnte in Österreichs zweitgrößter Stadt Graz eine öko-soziale Entwicklung anstoßen

  • Samuel Stuhlpfarrer
  • Lesedauer: 5 Min.

Zum Wahlsieg gab es Torte. »KPÖ Graz 2021 - 29 %« ist auf dem quadratischen Kuchen in den Armen von Elke Kahr zu lesen. Die Kommunistin steht kurz davor, Bürgermeistern von Österreichs zweitgrößter Stadt Graz zu werden. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag holte ihre KPÖ dort knapp 29 Prozent der Stimmen und verdrängte damit die bislang regierenden Konservativen (ÖVP) vom ersten Platz.

Nun kommt Bewegung in die Parteiengespräche. Zwar zeigten sich Sozialdemokraten (SPÖ) und Grüne, mit denen die Kommunisten über eine komfortable Mehrheit im Grazer Gemeinderat verfügen, zunächst zurückhaltend. Am Ende aber wird beiden Parteien kaum etwas anderes übrig bleiben, als Kahr zur Bürgermeisterin zu machen. Die SPÖ, von der KPÖ als erste Adresse der arbeitenden Menschen in der Stadt längst abgelöst, könnte ihren verbliebenen Wählern kaum erklären, warum sie sich einer sozialen Reformpolitik verweigert.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Grünen: Wer würde noch verstehen, warum die Partei auf Bundesebene dem rechtsautoritären Projekt von Sebastian Kurz die Stange hält, sich in Graz aber einem - auch klimapolitischen - Fortschrittsprojekt verweigert? Dazu passt, dass Grüne und KPÖ in innerstädtischen Bezirken und damit jenen Gegenden, die unter dem überbordenden Autoverkehr leiden, Stimmen von der ÖVP abziehen konnten, während sie dort, wo Einschränkungen der individuellen Mobilität gefürchtet werden, schwächer blieben.

In Graz wurde aber nicht nur die bürgerliche Hegemonie gebrochen, auch die extreme Rechte wurde klein gehalten. Gesellschaftliche Mehrheiten wurden hier erfolgreich in politische übersetzt. Was läge näher, als diese Chance zum Start eines kommunalen Leuchtturmprojekts zu nutzen?

Dass die KPÖ in Graz in den letzten zwei Jahrzehnten auch in Regierungsverantwortung überzeugen konnte, ist unbestritten. Bemerkenswert daran ist, dass sie dabei im Vergleich zu anderen relevanten linken Regierungsprojekten in Mitteleuropa seit der Epochenwende von 1991 erstaunlich prinzipienfest geblieben ist.

Seit 1998 sind die Kommunisten ununterbrochen in der Grazer Stadtregierung vertreten. Das liegt daran, dass in der steirischen Landeshauptstadt die Stadtsenatssitze im Verhältnis zum Wahlergebnis verteilt werden. Über die Ressortverteilung entscheidet dann die Gemeinderatsmehrheit. Die Zuweisung der Wohnagenden an Kahrs Vorgänger Ernest Kaltenegger im Jahr 1998 sollte die Partei entzaubern. Doch das misslang gründlich. Kaltenegger mobilisierte erfolgreich gegen den Verkauf der kommunalen Wohnungsbauten und sanierte sie systematisch. 2003 dankten es ihm die Wähler mit fast 22 Prozent der Stimmen.

In eine Koalition ließ sich die KPÖ danach dennoch nicht locken. Als SPÖ und Grüne den zweitplatzierten Kommunisten Kaltenegger zum Bürgermeister machen wollten, verweigerte sich der dem Experiment. Anders als die Berliner Linke, die in jener Zeit mit der SPD einen Gutteil des kommunalen Wohnbestands verkaufte, wollte Kaltenegger für ein Amt keine seiner »Haltelinien« aufgeben.

Ihre Prinzipienfestigkeit bewies die KPÖ auch im Oktober 2014. Damals schloss sie ausgerechnet mit Siegfried Nagls ÖVP ein bemerkenswertes Arbeitsübereinkommen (wohlgemerkt, kein Koalitionsabkommen).

Nagl hatte sich in seinen Verhandlungen über ein Doppelbudget für die Jahre 2015 und 2016 mit der rechtsextremen FPÖ und den Grünen überworfen und war auf die KPÖ als Mehrheitsbeschafferin angewiesen. Und die wusste ihre Chance zu nutzen: Am Ende mussten die Konservativen einen Privatisierungsstopp, den Bau von 500 neuen kommunalen Wohnungen, das Einfrieren der städtischen Gebühren und eine Verbilligung der Jahreskarte für den Öffentlichen Verkehr um nahezu die Hälfte hinnehmen.

Das Übereinkommen steht symbolisch für den programmatischen Horizont der KPÖ: Kein Primat profitgetriebener privater Akkumulation, sondern öffentliche Investments, wenn es sein muss auch unter Aushebelung des Stabilitätspakts - also jenes Regimes, das die potenzielle Neuverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden limitiert.

Elke Kahr wird, so viel scheint sicher zu sein, keine Koalition eingehen, die hinter die Ergebnisse des Arbeitsübereinkommens von 2014 zurückfällt. Ihre Arbeit als Verkehrsstadträtin legt zudem nahe, dass ihr eine nachhaltige Verkehrsberuhigung und der substanzielle Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Stadt am Herzen liegen. Dazu die Schaffung von Grünflächen und eine spürbare Entsiegelung der Stadt. Auch auf der Alltagsebene ist ein Kurswechsel zu erwarten - von der derzeit prohibitiven hin zu einer partizipativen Nutzung des öffentlichen Raums. Angezeigt ist auch, die bestehenden Spielräume zur Etablierung einer solidarischen Stadt zu nutzen.

Was damit gewonnen wäre? Bestimmt kein »kommunaler Sozialismus«, aber ein in Österreich neuartiges sozial-ökologisches Stadtentwicklungsmodell, das beste Voraussetzungen mitbringt weit über die Grenzen der 300.000-Einwohner-Stadt hinaus zu strahlen. Gelingt der Beweis, dass das alltägliche Leben der allermeisten Menschen tatsächlich zum Besseren verändert werden kann (und dass diese Veränderung nicht im Gegensatz, sondern Bedingung für eine fortschrittliche Klimapolitik auch auf kommunaler Ebene ist), dann könnte dieses Projekt nicht nur die Machtverhältnisse in Graz zementieren, sondern auch bundespolitische Implikationen nach sich ziehen. Selbst das beklemmend ungefährdete rechts-autoritäre Regierungsprojekt von Sebastian Kurz auf Bundesebene scheint vor diesem Hintergrund plötzlich antastbar.

Samuel Stuhlpfarrer ist Herausgeber der linken österreichischen Monatszeitschrift »Tagebuch«. Bis 2016 war er in der Parteiakademie der steirischen KPÖ in Graz tätig.

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