Wahlniederlage mit Ansage

Brandenburgs Linke bekam nachlassende gesellschaftliche Verankerung zu spüren

Beim Wahlkampfendspurt in Cottbus
Beim Wahlkampfendspurt in Cottbus

»Wir haben gekämpft – und wir haben verloren«, resümiert der Landtagsabgeordnete Christian Görke (Linke), der bei der Wahl am 26. September als Spitzenkandidat in Brandenburg ein Bundestagsmandat gewann. »4,9 Prozent im Bund, 8,5 Prozent in Brandenburg. Das ist eine Niederlage.« Da redet Görke nicht drum herum. »Wir haben unser Ergebnis in den ostdeutschen Bundesländern halbiert und auch in den westdeutschen Ländern massive Verluste eingefahren«, fasst Görke zusammen. »Das hat Ursachen. Diese müssen wir gründlich analysieren und Schlussfolgerungen ziehen, was dies für die Arbeit der Partei und der Fraktionen auf allen Ebenen heißen muss. Lasst uns dies gemeinsam tun. Ich wünsche mir, dass wir uns nicht – wie so oft in der Vergangenheit – mit einfachen Erklärungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen überziehen, sondern solidarisch und mit kühlem Kopf besprechen, wie wir Die Linke wieder stark machen.«

8,5 Prozent in Brandenburg, das sind 4,9 Prozentpunkte weniger als beim bislang schlechtesten Ergebnis der Sozialisten bei einer Bundestagswahl in Brandenburg. Immerhin noch 13,4 Prozent hatte die brandenburgische PDS 1990 nach dem Zusammenbruch der DDR erhalten, als in der Bevölkerung kaum jemand Lust verspürte, sozialistischen Idealen anzuhängen. Die Fallhöhe lässt sich damit verdeutlichen, dass es der Linken im Jahr 2009 noch gelungen war, mit 28,5 Prozent bei der Bundestagswahl in Brandenburg besser abzuschneiden als alle anderen Parteien.

Die Niederlage sei bitter für all jene, die in der Bundesrepublik keine Lobby haben: die Alleinerziehenden, die Geringverdienenden, die prekär Beschäftigten, schätzt Christian Görke ein. Bitter für alle, die hofften, »dass diese Wahl einen Linksrutsch bringt und progressive Mehrheiten im Bundestag ermöglicht« und »bitter für uns als Partei«. Aber Aufgeben sei keine Option, versichert Görke.

Die Aussage »das ist bitter«, findet sich auch in einer ersten Analyse des stellvertretenden Landesvorsitzenden Martin Günther. Er erinnert, dass die Meinungsforschungsinstitute Brandenburgs Linke Ende des Jahres 2020 bei zwölf Prozent gesehen hatten, Anfang September 2021, also wenige Wochen vor der Bundestagswahl immerhin noch bei elf Prozent. Geworden sind es dann aber nur 8,5 Prozent. »Lag der Landesverband Brandenburg in der Vergangenheit bei seinen Ergebnissen im Durchschnitt der ostdeutschen Flächenländer, teils sogar mit an der Spitze, stürzt er jetzt auf den letzten Platz«, sagt Günther. Er fragt, was geschehen ist. »Die Antworten sind nicht nur auf Bundesebene zu suchen«, glaubt er, »wenngleich dort sicherlich ein erheblicher Teil der Verantwortung liegt, weil diese die mediale Präsenz unserer Partei mit am meisten prägt.« Doch das Ergebnis in Brandenburg zeige, »dass wir auch einen Blick auf die Landesebene werfen müssen«.

Befragungen weisen Günther zufolge aus, dass Die Linke nur noch zu zehn Prozent aus Bindung zur Partei gewählt werde. Das sei für eine sozialistische Partei ein Problem, die sich nicht auf eine wohlwollende Widerspiegelung in den Medien verlassen könne, sondern auf eigene strukturelle Stärke bauen müsse. Es gebe jedoch einen »Verlust an gesellschaftlicher Verankerung unserer Partei in Brandenburg«. Zwischen 2007 und 2020 habe man 44 Prozent der Mitglieder verloren.

»Doch es gibt Hoffnung«, formuliert Günther. Trotz allem sei der Anteil der Wähler der Linkspartei in der Altersgruppe bis 29 Jahre am höchsten. Das verheißt der Partei eine Zukunft. Auch spontane Eintritte in die Partei am Wahlabend zeigen für Günther: »Ein Wiederaufbau kann gelingen.«

Vom Wahlsonntag bis Mittwoch haben 26 Brandenburger online ihren Eintritt in die Linke erklärt. Dazu kommen weitere Eintritte bei den Kreisverbänden, über die es in der Landesgeschäftsstelle noch keine Übersicht gibt. Mehr als 26 Parteieintritte innerhalb von drei Tagen sind überdurchschnittlich. So seien im gesamten Jahr 2020 lediglich 180 Eintritte zu verzeichnen gewesen, nennt Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg eine Vergleichszahl. Austritte sind ihm nicht bekannt geworden. Nun ist es immer so gewesen, dass in Wahljahren mehr Menschen zu Parteien finden als sonst üblich. Aber auch 2019, als es in Brandenburg eine Kommunal-, eine Europa- und eine Landtagswahl gab, verzeichnete Die Linke nur etwa 250 Neueintritte.

»Ich bin der Meinung, dass unser Wahlkampf solide war«, sagt die Landesvorsitzende Katharina Slanina. Sie rät von Schnellschüssen ab. Die Analyse der Niederlage laufe erst an. Ergebnisse sollen zum Landesparteitag am 4. Dezember vorliegen. Auch frühere Wahlniederlagen sind analysiert worden. Wichtig wäre es, diesmal die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und diese dann auch umzusetzen, betont Slanina.
Überraschend kam die Wahlniederlage nicht. Auch wenn die Kandidierenden übereinstimmend von im Prinzip ausschließlich positiven Reaktionen bei Begegnungen mit den Bürgern am Infostand berichteten, wussten sie doch, dass es für Die Linke eng werden könnte. So zeigte sich Spitzenkandidat Görke im Wahlkampfendspurt überzeugt: »Die Stimmung ist gut. Aber wir müssen auf den letzten Metern um jede Stimme kämpfen, damit es nicht doch noch schiefgeht.« Während Die Linke das Pech hatte, in der auf den Potsdamer Bundestagswahlkreis mit den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) fokussierten Medienberichterstattung nur am Rande vorzukommen, wären andere Dinge zu vermeiden gewesen. So gab es einen Wahlkampf, den man als eine Fortsetzung der Kampfabstimmung bei der Nominierung der Landesliste beschreiben muss. Die vier Kandidierenden um die ersten drei Listenplätze, die mit ihren Bewerbungen gegeneinander angetreten waren, gingen sich mehr oder weniger konsequent aus dem Wege.

So blieb Spitzenkandidat Christian Görke Ende August allein bei einer Veranstaltung auf dem Cottbuser Klosterplatz, die als offizieller Wahlkampfauftakt der Landespartei angekündigt war. Kein anderer Kandidat aus Brandenburg ließ sich bei diesem Termin blicken. Eine Woche zuvor ein ähnliches Bild: Beim Sommerfest der Potsdamer Linkspartei, das selbstverständlich ganz im Zeichen des Bundestagswahlkampfes stand, fehlten Spitzenkandidat Görke und die auf Platz drei der Landesliste gesetzte Landesvorsitzende Anja Mayer, obwohl beide in der Stadt wohnen. Man hatte Görke nicht eingeladen. Stattdessen traten dort die Bundestagsabgeordneten Norbert Müller und Anke Domscheit-Berg auf. Das alles bemerkte die Öffentlichkeit nur deshalb nicht weiter, weil Journalisten selten Wahlkampftermine der Sozialisten besucht und darüber berichtet haben.

Schließlich lud Görke für den Wahlabend zu einer Wahlparty ins Cottbuser Kulturzentrum »Prima Wetter« ein und blieb der Wahlparty des Landesverbandes im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion fern. Entschuldigend bemerkte der Spitzenkandidat dazu, er müsse an dem Abend in Cottbus sein – und erst nach den ersten Hochrechnungen das Stadion zu verlassen und sich auf den weiten Weg nach Cottbus zu machen, wäre nicht gegangen. Das trifft zu – und doch ist es ein Sinnbild für die gesamte Kampagne.

Die Disharmonie lässt sich nicht mit dem üblichen Schema für oder gegen Sahra Wagenknecht erklären. Denn als Anhänger von Wagenknechts Linie ist bisher keiner der vier aufgefallen. Sinnfällig wurde die oft an der Person Wagenknecht festgemachte Spaltung der Partei in Brandenburg im Wahlkampf nur ein einziges Mal, als der Bundestagskandidat Niels-Olaf Lüders sein spezielles Wahlplakat, das ihn zusammen mit Wagenknecht unter der Überschrift »Die sozial Gerechten« zeigt, auch in Bernau aufgehängt wissen wollte. Ihm wurde dort bedeutet, dieses Motiv sei vielleicht im Oderbruch hilfreich, schrecke jedoch im Berliner Speckgürtel vermutlich das junge linksalternative Spektrum ab (»nd« berichtete). Die Debatte darum führte aber keineswegs dazu, dass die Plakate einen Bogen um Bernau machen mussten. Am Ende waren sie auch dort zu sehen.

Schädlicher dürfte das wenige Tage vor dem Urnengang in der Tageszeitung »taz« veröffentlichte Interview mit dem Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) gewesen sein, in dem René Wilke (Linke) seine Partei heruntermachte, die Wahlkämpfer demotivierte und verriet, er könne es keiner anderen Partei raten, mit seinen eigenen Leuten zu koalieren. Im Vergleich dazu harmlos war das öffentliche Bekenntnis des Seelower Stadtverordneten Uwe Hädicke (Linke), er werde seine Erststimme einer CDU-Kandidatin geben – in einem Wahlkreis, in dem es für Die Linke nur auf die Zweitstimmen ankam.

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