Paukenschlag im tschechischen Wahlendspurt

Nach Enthüllungen über fragwürdige Geschäfte von Premier Andrej Babiš halten seine politischen Kontrahenten seine erneute Kandidatur für inakzeptabel

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich sollte die große TV-Debatte am Sonntagabend den Parteispitzen in Prag die letzte Gelegenheit vor den Parlamentswahlen am kommenden Freitag und Samstag geben, ihre politischen Absichten dem Wahlvolk zu präsentieren. Doch dann platzte die Affäre um die »Pandora Papers« hinein, und der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Regierungschefs, Amtsinhaber Andrej Babiš, ist in sichtlicher Erklärungsnot.

In Tschechien wird durch die Enthüllungen nicht nur der Premier und Chef der rechtspopulistischen ANO, der Milliardär Babiš, belastet, auch gegen weitere Personen des Wirtschaftslebens könnte wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt werden, betonte Jaroslav Ibehej, Sprecher der Nationalen Zentrale zur Aufklärung organisierter Kriminalität (NCOZ). Konkret steht der Verdacht im Raum, dass Babiš im Jahr 2009 15 Millionen Euro (damaliger Wert 380 Millionen Kronen) über Briefkastenfirmen transferiert und damit ein Landgut in Südfrankreich gekauft hat.

Babiš hingegen spricht von einer Schmutzkampagne gegen ihn. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen«, erklärte der Premier am Tag nach Offenlegung der Papiere. Erstens handele es sich um eine »alte Geschichte, die zwölf Jahre zurückliegt«, zum anderen sei er damals noch nicht in der Politik aktiv gewesen. Zum Geschäft selbst erklärte Babiš, es habe sich um versteuerte Gelder gehandelt.

»Das Ganze ist nur ein Versuch, mich zu diffamieren. Das hat schon vor vier Jahren nicht geklappt und wird auch diesmal nicht funktionieren«, platzte Babiš gegenüber Journalisten heraus. Eine überzeugende Erklärung, weshalb angeblich legale Darlehen über ein Offshore-Konstrukt mit mehreren Briefkastenfirmen in Washington, Monaco und auf den Britischen Jungferninseln abgewickelt wurden, lieferte er nicht.

Die tschechische Plattform investigace.cz - eine Beteiligte am internationalen Recherchenetzwerk ICIJ. das die »Pandora Papers« veröffentlichte - bestreitet jeden Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen. »Das Datum der Veröffentlichung wurde vom internationalen Konsortium festgelegt, an dem auch die ›Süddeutsche Zeitung‹, die österreichische ORF, die britische BBC und viele andere prominente Medien beteiligt sind«, so ein Sprecher der Plattform.

Nach Umfragen liegt Babiš Bewegung ANO bislang als stärkste Kraft in Führung. Dahinter folgt das Wahlbündnis SPOLU (Zusammen) aus Bürgerdemokraten (ODS), der rechtsliberalen Partei TOP09 und den Christdemokraten (KDU-CSL). SPOLU- und ODS-Chef Petr Fiala fordert nun, dass sich Babiš aus der Politik zurückzieht, sollten sich die Vorwürfe der Steuerhinterziehung bestätigen. Innenminister Jan Hamáček vom sozialdemokratischen Koalitionspartner ČSSD wiederum will die Dokumente zunächst in Ruhe untersuchen lassen. Hamáčeks Partei wird dieses Herangehen wenig helfen. Die ČSSD könnte laut den Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und den Einzug ins neue Abgeordnetenhaus verpassen.

Nicht zum ersten Mal steht Babiš, seit Dezember 2017 Regierungschef, im Verdacht windiger Finanztransaktionen. Vor fünf Jahren untersuchten Behörden - darunter das europäische Amt zur Betrugsbekämpfung OLAF - die Geschäfte seiner Agrofert-Holding. Das international tätige Agrarimperium (dazu gehört die deutsche Backwarenkette Harry) hatte zwischen 2004 und 2013 von der EU etwa 160 Millionen Euro Fördergelder bekommen. Zwei Millionen flossen in den Bau des von Babiš Angehörigen betriebenen Wellness-Ressorts bei Prag »Storchennest«, eine aus Agrofert herausgelöste Tochterfirma. Sämtliche Verfahren wegen Betrugs mit den für kleine und mittlere Unternehmen bestimmten Subventionen wurden eingestellt, Babiš überlebte die Affäre politisch. Ob ihm das nach den »Pandora Papers« auch gelingt, wird sich zeigen.

Sollte Babiš, wonach es aussieht, über die neue Affäre nicht stolpern und seine Bewegung die Wahl trotz des Skandals gewinnen, werden für eine Regierungsmehrheit mindestens drei Koalitionäre nötig sein. Als Partner der ANO kommen die Piraten, die Bürgermeister-Partei oder die rechtsextreme SPD in Frage. Bekommt Babiš keine ausreichend starke Koalition zustande, dürfte es in Prag erneut auf eine von den Kommunisten tolerierte Minderheitsregierung hinauslaufen.

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