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Wurzeln in den Dünen
In Kapstadt entstehen öffentliche Gärten für Bedürftige - unter erschwerten Bedingungen
Der Ausblick hat durchaus etwas Malerisches. Hinter spärlich bewachsenen Sanddünen liegt die tiefblaue False Bay, am Horizont ragen die Helderberg Mountains in den Himmel. Ein Ort der Idylle ist Endlovini dennoch beileibe nicht. Die informelle Siedlung am Rande Khayelitshas, dem größten Township von Kapstadt, ist noch immer geprägt von tiefer Armut. Noch 2016, fast 20 Jahre nach der ursprünglichen Besetzung des Areals, demonstrierten Bewohner dafür, überhaupt Gemeinschaftstoiletten zu bekommen. Inzwischen stehen einige blaue Chemie-Klos zwischen den Blechhütten, aber längst nicht genug. Endlovini wirkt wie eine Gemeinde, die schlicht vergessen wurde. Helfen wollen die Menschen sich nun selbst, den Anfang macht ein kleiner Kräuter- und Gemüsegarten inmitten von Dünen.
»Hier wollen wir eine Feuerstelle anlegen, in der Ecke da drüben soll eine Bühne für Kulturveranstaltungen entstehen«, erklärt Qaba Mbola die nächsten Vorhaben. Der Gemeindeaktivist ist eines der Gründungsmitglieder der Initiative Ujamaa, seine Mitstreiter nennen ihn das Hirn der Organisation. Seit seinen Anfängen 2015 hat sich Ujamaa das Ziel gesetzt, in der Gemeinde frei zugängliche Gemüsegärten zu schaffen. »Wenn Essen zur Ware gemacht wird - wie es derzeit ist -, dann verurteilt das viele Menschen zum Tode«, sagt Mbola. Der 55-Jährige redet schnell und eindringlich, jetzt aber macht er eine Pause, um seine Botschaft wirken zu lassen. »Kinder essen Chips für 50 Cent, die giftig sind«, legt er dann nach und liefert schließlich den logischen Schluss: »Wir sollten Essen frei verfügbar machen. Überall, wo jetzt Gras wächst, sollten Nahrungsmittel angebaut werden.«
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
In Khayelitsha hat Ujamaa damit 2016 begonnen. Die Aktivisten säuberten eine wilde Müllkippe unweit von Mbolas Haus und begannen, einen Gemüsegarten anzulegen. Ohne Zäune. »Jeder, der vorbeikommt, kann ernten«, das sei damals die Idee gewesen, erzählt Mbola. Gemeinsam mit Zintle Nkewana, einer jungen Theaterschauspielerin, die sich seit April vergangenen Jahres bei Ujamaa engagiert, sitzt er in seinem Wohnzimmer; gemeinsam erklären sie das Konzept der Organisation. »Ich hatte zu Hause einigen Platz«, erzählt Nkewana. Als die Theater infolge des Lockdowns schließen mussten, ging sie zu Mbola und ließ sich erklären, wie sie aus Samen Pflanzen ziehen kann. Zwei kleine Gärten hat sie inzwischen, einen im Hof, einen vor dem Grundstück - »für mich und für jeden, der etwas braucht«. Die Leute müssten sie nur fragen, erzählt die 26-Jährige.
»Gemüsegärten sind nicht genug, wir wollten häusliche Geschäfte aufbauen«, berichtet Mbola von den Plänen Ujamaas. Sie wollten Backsteine herstellen und schweißen, Bäckereien aufbauen und Kindergärten eröffnen. Ganz nach dem Gedanken des namengebenden Vorbilds, der Kooperativwirtschaft der Dorfgemeinschaften in Tansania der 1960er bis 1980er Jahre, geht es um Selbsthilfe. »Hier wird keiner auf einem Pferd in glänzender Rüstung einreiten und uns retten«, macht Mbola klar. In Khayelitsha sollten neben dem Garten zunächst ein Café und eine Bäckerei entstehen, zudem baute Ujamaa auf einem Privatgrundstück in der Nachbarschaft ein kleines Büro. Der Gedanke war, dass sich die Gemeinschaft größtenteils selbst versorgt.
Doch Mbola spricht bewusst in der Vergangenheitsform. »Alle vier Pilotprojekte sind in sich zusammengefallen«, gesteht er ohne Umschweife ein. Ujamaa ist keine reine, glänzende Erfolgsgeschichte, sondern das ungeschminkte Zusammentreffen hehrer Ziele und harscher Realitäten. An der Straßenecke, an der das offene Café die Menschen des Townships zusammenbringen sollte, stehen nur noch die gemauerten Eckpfeiler. Selbst das Dach wurde entwendet. In den Raum, der Ujamaa als Büro dienen sollte, ist der Sohn des Grundstücksbesitzers eingezogen; das Engagement der Bäckerinnen für die Gemeinschaft endete, nachdem der von Ujamaa angeschaffte Backofen bei ihnen eingetroffen war. Es wird nur für eine kleine Gemeinde gebacken. Und auch der ursprüngliche Gemüsegarten gibt ein äußerst trauriges Bild ab. Weil ein Abflussrohr verstopft ist, drückt das Abwasser aus dem Boden an die Oberfläche, große Teile des einstigen Gartens sind mit einer stinkenden Brühe aus Fäkalien überflutet. Die höher gelegenen Beete sind von Gras überwuchert, nur zwei Aloe-Pflanzen und ein paar Rosmarinsträucher erinnern noch an das Gartenbauprojekt. »Wir haben die Leute herausgefordert, unseren Garten zu zerstören«, blickt Mbola zurück. Sollen sie klauen, dann wird halt neu gepflanzt, war die Devise. »Aber wir haben uns entmutigen lassen«, sagt Mbola. Nachts seien die Leute zum Teil gekommen, auch aus Scham, und haben dann gleich ganze Gemüsestauden mitsamt den Wurzeln herausgerissen.
Die Corona-Pandemie machte die Lage noch schwieriger. Mit dem Lockdown, so berichten Mbola und Nkewana, habe auch die Müllabfuhr nicht mehr funktioniert. Also begannen die Leute wieder, ihren Abfall auf dem Gelände des Gartens abzuladen. Landesweit verursachte der harte Lockdown zudem verschärfte Armut und Hunger. »Die Leute haben zunächst an sich gedacht, um zu überleben«, erklärt Mbola. Ujamaa hat in der Zeit etliche Mitstreiter verloren. »Ich denke, das ist einfach das Leben«, meint Nkewana. Es gebe die Erwartung, für einen Einsatz etwas zurückzubekommen. Das verstopfte Abwasserrohr tat schließlich ein Übriges zur Zerstörung des Gartens. Das Problem hat die Stadtverwaltung bis heute nicht behoben.
Ans Aufgeben denken sie trotzdem nicht bei Ujamaa. Es klopft an der Tür, eine Nachbarin bringt kleine Chilipflanzen vorbei, die Nkewana später im neuen Garten in Endlovini einpflanzt. Kurz darauf steht ein kleiner Junge im Eingang, der schon genau zu wissen scheint, dass er sich bei Mbola einen Keks abholen kann. »Als der Gemüsegarten gescheitert ist, haben wir angefangen, ein urbanes Ökodorf aufzubauen«, sagt der Aktivist mit Blick auf das neue Projekt. »Wir machen etwas, wir scheitern, wir lernen daraus«, gibt er sich rückblickend pragmatisch. Mbola blickt auf ein langes Leben als Gemeindeorganisator zurück. Erwachsen geworden in den 1980er Jahren, als Kapstadts Townships buchstäblich brannten, ist er dem Einsatz für die Menschen in Khayelitsha treu geblieben. 2012 führte er eine Kampagne gegen Lynchjustiz an, 35 Menschen waren seinerzeit innerhalb eines Jahres in Khayelitsha mit Autoreifen lebendig verbrannt worden. Um die Forderung zu unterstreichen, dass die Regierung das Problem als nationalen Notstand definieren sollte, trat er gar für neun Tage in den Hungerstreik. Aus der Kampagne ging schließlich eine Initiative hervor, die eine Bibliothek pro Straße forderte. Bald sei seinen Mitstreitern und ihm aber bewusst geworden, dass »niemand mit leerem Magen lernen« könne, erzählt Mbola. So entstand die Kampagne für den freien Zugang zu Nahrungsmitteln und schließlich Ujamaa. Bis heute geblieben sind der Gedanke der Selbstorganisation und das Bekenntnis dazu, Essen frei verfügbar zu machen. »Diese Ideologie kann sich niemals ändern, sonst wäre das nicht mehr Ujamaa«, sagt Mbola entschieden.
Geändert hat sich aber der Ansatz. Den neuen Garten umgibt ein Zaun, es soll nicht mehr jeder einfach zum Ernten kommen. Die Nachbarn profitieren trotzdem. Esosipho Mbilini ist eine der Anwohnerinnen, die manchmal mitarbeiten und sich im Gegenzug etwas Frisches zum Kochen mitnehmen. »Ich mag einfach Gemüse, vor allem Spinat«, sagt die 22-jährige Assistenzlehrerin, die zusammen mit ihrem Sohn und ihrer Mutter in einer Hütte direkt hinter dem Garten wohnt. »Und manchmal spart es auch etwas Geld beim Einkaufen.« Auch Nkewana hat mit dem neuen Projekt wieder Hoffnung geschöpft. »Hier gewinnen wir, im alten Garten nicht«, sagt sie.
Dass die wenigen Gemüsebeete niemals die gesamte Gemeinschaft ernähren können, ist allen Beteiligten vollkommen klar. »Aber der Garten erfüllt viele Rollen«, sagt Mbola, »in erster Linie dient er als Modell.« Für die Menschen im Stadtteil bietet das Areal die Möglichkeit, sich Wissen im Gärtnern anzueignen und schließlich eigene Gemüsegärten anzulegen. Es geht um eine gesündere Ernährung. Es geht darum, dass Nachbarn zusammenkommen, sich gemeinsam etwas aufbauen, um »soziale Kohäsion«, wie Mbola sagt. Und es geht darum, dass die Menschen in Khayelitsha sich selbst helfen. Mbola verweist auf eine Studie, der zufolge in dem riesigen Township monatlich neun Milliarden Rand (530 Millionen Euro) umgesetzt werden. »Aber dieses Geld fließt so aus Khayelitsha ab«, sagt er und schnippst mit den Fingern in die Luft. Dem will Ujamaa etwas entgegensetzen. »Wir wollen uns weiterhin selbst organisieren«, sagt er.
Genau das müssen sie auch. Die Stadtverwaltung, die das Projekt anfänglich mit Schubkarren, Gartenschläuchen, Wassertanks und Saatgut unterstützte, hat ihre Hilfe längst eingestellt. Saatgut und vorgezogene Pflänzchen kommen nun von den Nachbarn. Das Areal des neuen Gartens in Endlovini ist nicht etwa zugeteilt, sondern schlicht besetzt. Fruchtbaren Boden bietet der pure Dünensand freilich auch nicht, doch die Aktivisten haben sich mit Mist beholfen, den sie von einer Frau bekommen, die ein paar Kilometer weiter Rinder hält. Der Mangel an Land bleibt dennoch die größte Herausforderung für das Projekt Ujamaa, es fehlt schlicht an Anbauflächen, um den Gartenbau auf eine höhere Stufe zu heben. Bis das möglich ist, arbeiten Nkewana, Mbola und die anderen Ujamaa-Aktivisten im Kleinen weiter. Der Traum von einem besseren, selbstbestimmten Leben bleibt so auf den Dünen von Endlovini am Leben.
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