Fischfang nach der Krise

Ernährung aus dem Meer soll klimagerecht sein

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Fischer sitzen auf dem Trockenen. »Die Kutterfischer in der Ostsee sind durch die Quotenentscheidungen der EU-Fischereiminister akut in ihrer Existenz bedroht«, sagt Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbandes in Hamburg. Nachdem für dieses Jahr die Quoten bei Dorsch und Hering schon unter das Existenzminimum der Fischereibetriebe gedrückt worden waren, haben die EU-Fischereiminister im Oktober entschieden, dass die gezielte Fischerei auf Dorsch und Hering auch in der westlichen Ostsee im nächsten Jahr eingestellt wird. Beide Gattungen gelten unter Fischern als existenzsichernde »Brotfische«.

Rund um den Deutschen Fischereitag, der noch bis Donnerstag in Emden stattfindet, gibt es Gespräche mit dem Bundesministerium von Julia Klöckner (CDU) und den zuständigen Landesbehörden, um gemeinsame Lösungen für die betroffenen Betriebe zu entwickeln, so Breckling. Letztlich dürfte es wie in der Vergangenheit um Zuschüsse und Stilllegungsprämien für Kutter gehen.

Der Umsatz in der deutschen Meeresfischerei betrug 2020 insgesamt 182 Millionen Euro (-6,6 Prozent) bei Anlandungen von rund 181 000 Tonnen (-6,1 Prozent). Davon entfiel laut Thünen-Institut etwa die Hälfte auf die lediglich sieben Hochseetrawler. Die andere Hälfte teilen sich 1250 Kutter. Die Bedeutung der an sich kleinen Branche für den Tourismus an der Küste ist allerdings nicht hoch genug einzuschätzen. Hinzu kommt die große Zahl privater Fischer und Angler. So vertritt die Fischerei-Lobby die Interessen von bis zu einer Million Mitgliedern.

Verbraucher kaufen allerdings vor allem Importware. Auf fast 90 Prozent beziffert das Fisch-Informationszentrum die Importe an Thunfisch, Garnelen und Hering. Hauptlieferländer sind Polen, Niederlande, Dänemark und Norwegen. Die großen Fischereiländer haben erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen. So ärgern sich die deutschen Fischer über Nicht-EU-Mitglied Norwegen. Die Skandinavier hätten den Brexit genutzt, um sich selbstständig eine höhere Heringsquote zuzuteilen. In den Gewässern um Spitzbergen wolle man zudem den EU-Fahrzeugen die Dorschquote kürzen.

Gleichzeitig schaut man in Emden erstaunt auf den heftigen Fischerei-Streit zwischen den Regierungen in Paris und London. Beide Länder kämpfen mit harten diplomatischen Bandagen um Fangrechte. In britischen Gewässern liegen riesige Fanggebiete. Und der Streit dreht sich um Lizenzen für alle EU-Fischer.

Da tat es gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Deutschen Fischerei-Verbandes am Dienstag eine Videobotschaft sendete. Vor allem die Küstenfischer in Nord- und Ostsee wissen aber auch um die Gefährdung ihrer Bestände. Biodiversität ist daher ein wichtiges Thema in Emden.

Von der Wissenschaft fühlen sich viele Fischer dabei im Stich gelassen. Offenbar lagen deren Prognosen falsch. Auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen legt die EU Mehrjahrespläne für »den höchstmöglichen Dauerertrag« fest. Dies ist die größte Fangmenge, die einem Fischbestand entnommen werden kann, ohne die Population zu gefährden. 2015 sollte dieses Ziel erreicht sein. Auch wenn EU-Fischereiminister regelmäßig höhere Quoten als die empfohlenen durchwinkten, wurde die Datenqualität überschätzt. Daher wurden von den Instituten zu hohe Fangempfehlungen an die Politik ausgesprochen, kritisierte kürzlich Professor Thorsten Reusch, Forschungsleiter am Kieler GEOMAR Zentrum für Ozeanforschung, im »Deutschlandfunk«.

Die Umweltbedingungen verändern sich offensichtlich so schnell, dass die Wissenschaft mit einer realistischen Bestandsbewertung nicht hinterherkommt. Da das bisherige Bestandsmodell nach Ansicht der Wissenschaftler keine plausiblen Ergebnisse mehr lieferte, wurde in diesem Jahr ein »Interbenchmark« - eine Art Schätzverfahren - für Dorsch und Hering durchgeführt.

Aufmerksamkeit in Emden erzielte auch der offene Brief von 289 Wissenschaftlern aus 46 Ländern im Fachmagazin »Science«, indem ein Stopp von Subventionen für schädliche Fischerei gefordert wird. Über ein solches Verbot wird zurzeit in der Welthandelsorganisation WTO beraten. Dabei geht es vor allem um Subventionen für Fischfangflotten, die fern der Heimatküsten unterwegs seien. Das bedrohe Klima und vor allem ärmere Länder, die auf den heimischen Fischfang angewiesen seien.

Besonderes Anliegen des Verbandes ist die zukünftige Rolle von Fisch in einer »klimagerechten Ernährung der Menschheit«. Dafür sei eine Steigerung der Erzeugung und des Verbrauchs von Fischereierzeugnissen um die Hälfte erforderlich, heißt es aus dem Wissenschaftlichen Beirat des Verbandes: »Fischerei und Aquakultur sind demnach bei einem wirksamen Klimaschutz ein Teil der Lösung und nicht das Problem.« Auch wenn Umweltverbände ein anderes Bild zeichnen, hoffnungslos erscheint dieses Unterfangen nicht. Zwei Drittel der Fischbestände weltweit sind nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO nicht überfischt. Und auch in der Ostsee sind Sprotte, Steinbutt oder Scholle keineswegs rar.

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