Jede Menge heiße Eisen

Krankenhäuser und Ärzte sind noch nicht in jeder Beziehung gut auf Klimawandel-Folgen eingestellt

Tempolimit, Neuinvestitionen in fossile Energieträger, Klimaneutralität - auch das waren Themen des Ärztetages, der am Montag und Dienstag dieser Woche in Berlin stattfand. Denn Unfallopfer aus dem Straßenverkehr oder Geschädigte von Hitzewellen und Luftverschmutzung landen am Ende in Krankenhäusern und Arztpraxen - ganz zu schweigen von Menschen, die sich mit neuartigen Viren angesteckt haben.

Auf der Tagesordnung hatte das Thema Klimaschutz schon für den Ärztetag 2020 gestanden, der aus Pandemiegründen ausfiel. Der Online-Ärztetag im Mai des Jahres erschien dem Gremium ebenfalls nicht geeignet, nun aber war es endlich soweit, verschiedene Aspekte zu diskutieren. »Klimaveränderungen führen zu Gesundheitsgefährdungen«, so Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Letztere treten entweder ganz neu auf oder verschlechtern die Situation bei vorhandenen Risiken. »Weil diese Veränderungen das Zusammenleben betreffen, sind wir als Ärzte aufgefordert, zu warnen und zu mahnen.« Auch jeder einzelne Vertreter des Berufsstandes sei gefordert, unter anderem dabei, den Verbrauch von Einweg-Material wie Schutzkitteln zu senken und Hygiene dennoch aufrechtzuerhalten. Dazu gehöre, auch zu fragen, welche Artikel verwendet werden, woher sie kommen und was im jeweiligen Bereich zeitgemäß sei. Bei der Einrichtung und dem Neubau von Kliniken müssten Vorkehrungen etwa gegen die Auswirkungen von Hitzewellen getroffen werden.

»Als Chirurg bekomme ich im Hochsommer selbst im klimatisierten OP-Saal die Handschuhe nicht richtig an. Und die Patienten in der 3. und 4. Etage müssen mit mindestens 26 Grad Zimmertemperatur klarkommen«, ergänzte der neu gewählte Vizepräsident der Ärztekammer, Günther Matheis. Auch er sieht hier Nachholbedarf. Bauliche Veränderungen müssten bezahlt werden, auch das sei bei den Krankenhausinvestitionen »einzupreisen«, die von den Bundesländern kontinuierlich zu niedrig bereitgestellt werden. Der in Trier in Rheinland-Pfalz tätige Thoraxchirurg berichtete außerdem von der Situation im Ahrtal. Kammervertreter hätten dort nicht mehr existierende Arztpraxen und nicht mehr funktionstüchtige Krankenhäuser besucht. »Und wir trafen auf Dauer traumatisierte Menschen, die alles verloren haben.«

Nachgebessert werden müsse außerdem in Aus- und Weiterbildung, was die Prävention von Krankheiten betrifft. Es genüge nicht, die Medizin nur als Reparaturbetrieb zu betrachten wie in den vergangenen Jahrzehnten. Eben auch angesichts der bereits zu bemerkenden Klimaveränderungen müsse die Gesundheitskompetenz in der gesamten Bevölkerung gefördert werden.

Der Klimawandel als gesellschaftliches Thema geht an den Medizinern des Landes also nicht vorbei. Sie haben sich jedoch mit weiteren heißen Eisen auseinanderzusetzen, die ihre Arbeitsbedingungen ganz unmittelbar betreffen - darunter die Finanzierung der Krankenhäuser, die auch nach Ansicht des Ärztetages vor einem Umbruch steht. Neue Regeln dafür fordern die Vertreter der Bundesärztekammer von der künftigen Bundesregierung, das schließt die Planung und die Bezahlung des Personals mit ein.

Dabei sind die Fallpauschalen, mit denen für jede Diagnose eine bestimmte Summe festgelegt wird, auch für viele Ärztinnen und Ärzte stark reformbedürftig. Längst ist es nicht mehr nur das gewerkschaftsnahe Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik«, das hier Veränderungen fordert. Behandlungen quasi industriell abzuwickeln, bei hoher Spezialisierung so viele Fälle wie möglich abzurechnen - das ist eher für die Geschäftsführungen von Kliniken lukrativ. Für Ärzte kollidiert es mit dem Berufsethos, wonach Handlungsanweisungen für Therapien von Nichtmedizinern eigentlich nicht zulässig sind. Wobei es auf dem Ärztetag auch Stimmen gab, die Vorteile der Fallpauschalen für die Kostentransparenz im Gesundheitswesen anführten.

In Sachen Covid-19 sprachen sich Vertreter des Ärztetages mit unterschiedlicher Vehemenz für eine Booster-Empfehlung für alle Altersgruppen aus. Die Auffrischungsimpfungen sollten jedoch nicht für alle Gruppen gleichzeitig erfolgen, so etwa Kammerpräsident Reinhardt. Ein solches Signal, wie jetzt vom amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesetzt, führe in den Praxen zu hohem Beratungsbedarf, zusätzlich zu vielen Menschen mit Erkältungen und Bedarf für eine Grippeimpfung. Der Ärztefunktionär mahnte eine einheitliche Sprachregelung von Bundesgesundheitsministerium und Ständiger Impfkommission an. Für Reinhardt wäre die Wiedereröffnung der Impfzentren eine Hilfe dabei, dass Auffrischungen schneller und geregelt verabreicht werden könnten. Die Priorität sieht er dabei ganz klar bei Älteren, Beschäftigten im Gesundheitswesen und Menschen mit schwachem Immunsystem. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen aus Thüringen, verwies auf mobile Impfteams, die beispielsweise in Pflegeheimen impfen könnten. Diese Form sollte vor dem Winter wiederbelebt werden. Sie sprach sich dafür aus, alle Geimpften nach sechs bis acht Monaten erneut gegen Covid-19 zu immunisieren.

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