Ernst der Lage fast erkannt

Kurt Stenger über schwache Beschlüsse der Gesundheitsminister

Das Positive vorweg, auch wenn es eigentlich negativ ist: Die Gesundheitsminister der Länder scheinen erkannt zu haben, dass die Corona-Lage wieder »dramatisch« ist, wie es Bayerns Ressortleiter Klaus Holetschek (CSU) am Freitag ausdrückte. Noch vor wenigen Tagen hatte man den Eindruck, dass es bei den Entscheidern nur darum gehe, Lockerungen für Geimpfte zu beschließen. Jetzt geht es angesichts der hohen Inzidenzen und steigenden Krankenhausbelegungen wieder um strengere Maßnahmen.

Doch was die Gesundheitsministerkonferenz beschloss, wird nicht groß für Entspannung in den nächsten Wochen sorgen. Dass die Runde eine Auffrischungsimpfung für alle empfiehlt, ist sogar kontraproduktiv. Nicht nur weil man den armen Ländern die versprochenen Vakzine wieder wegschnappt. Auch in Deutschland ist dies problematisch, denn es müssten sehr schnell die Hochbetagten und Immungeschwächten den Booster bekommen. Die Freigabe für alle verlangsamt den Prozess. Außerdem bleibt es doch recht vage, wie die Impfkampagne praktisch vorangebracht werden soll. Und wie man die Millionen bisher ganz Ungeimpften in den vulnerablen Gruppen erreicht, scheint überhaupt nicht mehr zu interessieren.

Auch beim Schutz der Pflegeheime tut sich wenig. Schnelltests für Besucher und Beschäftigte sind zwar gut, aber bei den örtlich zahlreichen ungeimpften Pflegekräften reicht dies nicht. Schlechte Arbeitsbedingungen können nicht als Ausrede dafür herhalten, dass sie die ihnen Schutzbefohlenen einer so großen Gefahr aussetzen. Man könnte sie etwa vor die Wahl stellen zwischen Impfung oder täglichem PCR-Test samt Maskenpflicht.

An heiße Eisen wagt sich die Politik bisher nicht. Das gilt auch für eine Abkehr von angesichts der vielen Impfdurchbrüche fahrlässigen 2G-Großveranstaltungen. So ganz scheint es also nicht angekommen zu sein, dass die Lage dramatisch ist. Also alles wie vor einem Jahr?

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