Als es in der SPD noch Marxisten gab

Band eins einer Geschichte der brandenburgischen Sozialdemokratie anhand von Biografien veröffentlicht

Anfang 1914 rückt Ernst Schrader auf zum dritten Vorsitzenden der verbotenen Vereinigung Berliner Schutzleute, einer frühen Gewerkschaft der Polizei. Schraders Vorgänger wurden strafversetzt, er selbst wird seines Postens als Telegrafist enthoben und zum Straßendienst verdonnert. Doch Schrader besucht weiter die geheimen Versammlungen, wird schließlich Chef einer Polizistengewerkschaft, die man Schrader-Verband nennt, und sogar Chef einer internationalen Polizistenvereinigung. Er ist Sozialdemokrat, wird im September 1933 auf seinem Gut Ravensbrück verhaftet und für drei Monate ins KZ Oranienburg gesteckt. Nach seinem Tod 1936 wird seine Witwe gezwungen, das Gut für 3000 Reichsmark abzugeben. SS-Reichsführer Heinrich Himmler bekommt es geschenkt, verwendet das Areal für die Errichtung des Frauen-KZ Ravensbrück.

So steht es geschrieben in »Sozialdemokratie in Brandenburg«, einem Buch weniger über die Partei als über ihre Mitglieder. Es enthält 19 ausführliche und 50 kurze Biografien von Männer und Frauen, von denen viele heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind, die es aber wert sind, sich an sie zu erinnern.

1868 bildeten sich in Brandenburg/Havel und Luckenwalde zwei Arbeitervereine, die als Keimzellen der SPD in den hiesigen Breiten zu verstehen sind. 1907 zählt die Partei in Brandenburg 17 312 Mitglieder, 1924 dann 39 151 Mitglieder, darunter 10 639 weibliche. Bis 1908 war es Frauen in Deutschland nicht gestattet, einer Partei beizutreten. Aber sozialdemokratisch gesinnte Frauen organisierten sich zuvor im Umfeld der SPD, die für die Gleichberechtigung eintrat.

Im Niederbarnim gewann der Rechtsanwalt Arthur Stadthagen 1890 als erster Sozialdemokrat in Brandenburg einen Reichstagswahlkreis. 1893 folgte der Tischler Fritz Zubeil, der wegen seines politischen Engagements seine Arbeit verloren hatte. Er siegte im größten Wahlkreis Deutschlands, der von Beeskow bis nach Charlottenburg reichte, galt als Radikaler und als Kriegsgegner. 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, stimmte Zubeil jedoch aus Parteidisziplin gegen die eigene Überzeugung für die Kriegskredite - als alle SPD-Reichstagsabgeordneten das taten. So machte es Zubeil auch bei der zweiten Abstimmung über die Kriegskredite, als Karl Liebknecht als einziger mutig ausscherte. Doch 1915, als bereits 20 von 110 SPD-Abgeordneten nicht mehr mitmachten, da gehörte Zubeil zu ihnen. »700 000 Menschen in Deutschland sind schon getötet worden, da trage ich die Verantwortung nicht mehr«, begründete er das. »Die Mordkredite lehne ich ab.« Zubeil ging wie Liebknecht zur USPD, aber nicht weiter zur KPD. 1922 - vier Jahre vor seinem Tod - kehrte er zurück zur SPD.

Eine ganze Reihe von Autoren steuerte Biografien bei, darunter der Fredersdorf-Vogelsdorfer Ex-Bürgermeister Uwe Klett (Linke). Eigentlich wollte die Historische Kommission der märkischen SPD nur einen Band zur Vorgeschichte des Landesverbandes herausgeben. Da die Bereitschaft zur Mitarbeit aber so unerwartet hoch war, soll für die Zeit von 1933 bis 1990 nächstes Jahr ein zweiter Band erscheinen. Die Lebensspanne der im ersten Band Porträtierten reicht teils schon über 1933 hinaus, etwa bei Paul Szillat, dem SPD-Oberbürgermeister von Brandenburg/Havel, der im KZ Oranienburg leiden musste und sich nach dem Zweiten Weltkrieg für den Zusammenschluss mit der KPD aussprach. Er gehörte dann dem SED-Zentralkomitee an, galt aber als Querkopf, wurde 1950 ausgeschlossen und 1951 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Durch eine Amnestie 1956 freigekommen, ging er nach Westberlin und wurde dort wieder für die SPD aktiv. 1990 hat ihn die PDS rehabilitiert.

»Aus der Geschichte lernen darf nicht nur eine Floskel sein«, schreibt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Vorwort. »Auch oder gerade heute ist die Orientierung an Überzeugungen und Handlungen von Männern und Frauen wichtig, die in schwierigsten Zeiten ihr Leben dem Kampf für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit widmeten.«

Das Buch ist sehr lesenswert, das Engagement der Herausgeber verdienstvoll. Etwas peinlich ist nur, wie sich die SPD hier als Schöpferin der Weimarer Republik inszeniert und als Feinde Adolf Hitler und Ernst Thälmann in einem Atemzug nennt. Angeblich wurde bei der Planung der Veröffentlichung eine Hürde klar, die es in Ostdeutschland zu nehmen gilt: Dass die Wahrnehmung überlagert werde »von einer DDR-Geschichtsschreibung, die über vier Jahrzehnte hinweg auf der Grundlage ihrer Deutungshoheit die Sozialdemokratie übersehen, ausgegrenzt oder systematisch abqualifiziert hat«.

Das nun aber ist in dieser Absolutheit Unfug. Denn zumindest die SPD bis 1914 galt in der DDR doch als marxistische Partei und wurde als solche ausführlich im Schulunterricht behandelt. Straßen trugen den Namen von SPD-Urvater August Bebel. Wo lebten die Herausgeber, die so etwas schreiben? Nicht in der DDR!

Willi Carl, Martin Gorholt, Sabine Hering: »Sozialdemokratie in Brandenburg (1868-1933)«, Dietz-Verlag, 360 Seiten, 24 Euro

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