Der späte Sieg des Rinder-Offenstalls

Auf einem Innovationshof der Leibniz-Forschung in Groß Kreutz werden Kühe ständig an frischer Luft gehalten

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Barbara Sturm kann den Tag genießen. In Groß Kreutz (Potsdam-Mittelmark), etwa 60 Kilometer westlich von Berlin, bekommt die Direktorin des Potsdamer Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie Anfang dieser Woche von Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) symbolisch einen Scheck über zehn Millionen Euro überreicht. Es ist die letzte Rate von insgesamt 25 Millionen Euro, mit denen das Land Brandenburg die alternative Forschung in der Landwirtschaft an diesem Ort fördert: den Leibniz-Innovationshof, der in den kommenden fünf Jahren zu einem »Schaufenster der Bioökonomie« werden soll.

Manja Schüle und Agrar- und Umweltminister Axel Vogel (Grüne) ist mit der Pressefahrt nach Groß Kreutz vor allem an einer Botschaft gelegen: Wie seinerzeit die königlichen Krongüter sollen solche Inseln der Agrarwissenschaft Quelle und Inspiration für die normale Landwirtschaft sein. Beim Innovationshof ist die Rede vom »ganzheitlichen Ansatz«, der auf eine biobasierte Kreislaufwirtschaft ziele, »in der eine nachhaltige Landwirtschaft, gesunde Lebensmittel, biologisch abbaubare Materialien und Rohstoffmanagement optimal miteinander verknüpft sind«. Dabei geht es unter anderem auch um Rinder-Offenställe.

»Floras Euter ist ganz prall, seit sie steht im Offenstall«, hieß es in einem alten DDR-Kinderbuch. Die Rinder-Offenställe galten dann aber auch schon in der DDR als Flop und als Fehlentscheidung in der Agrarpolitik schlechthin. In Groß Kreutz sieht man das heute anders und hält 700 Kühe ausschließlich in Offenställen. Von den etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden diese »Ställe der Zukunft« genannt. Der Innovationshof ist zwar der Leibniz-Forschung zugeordnet. Der Betrieb muss aber auch wirtschaftlich am Markt bestehen. Leiter Detlef May ist sich sicher, dass Rinder in einer solchen Haltung an beständig frischer Luft gut gedeihen. Hat die Wiederentdeckung des Offenstalls vielleicht damit zu tun, dass in den 60er Jahren die Winter strenger waren als heute? »Nein«, meint er, auch in seinen Ställen überstanden die Tiere Temperaturen von 26 Grad minus problemlos.

Das Offenstall-Projekt der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR sei nicht per se falsch gewesen, aber in der Umsetzung an einigen Bedingungen gescheitert, meint May. Ziegel- oder Betonböden mit etwas Stroh darauf seien für Tiere im Winter nicht geeignet. Vor allem aber müssten die Tiere immer temperiertes Wasser und Futter haben, das sei im LPG-Offenstall aber oft eingefroren. »Das Ganze war damals wohl ein Problem der Energie«, sagt May.

Nach Ansicht der Mitarbeiterin Helen Foltan könne man von der DDR viel lernen. Das damalige Prinzip, mit dem auszukommen, was eben vorhanden ist beziehungsweise in der Nachbarschaft wächst, gelte heute als nachhaltiges Denken. Auch das Thema Biogas sei laut Foltan, die selbst aus Bayern stammt, damals schon bearbeitet worden. DDR-weit Aufsehen hatte seinerzeit ein LPG-Projekt erregt, die Energiegewinnung mittels Strohpellets auf wirtschaftliche Füße zu stellen.

Im heutigen Modellbetrieb ist längst die allerneuste Technik eingezogen. Die Hochleistungsrinder wie auch Schafe und Ziegen werden extrem überwacht, vieles läuft über den Computer. Und die Euter sind so prall wie nie. Während in der DDR eine Rinderherde auszeichnungswürdig war, wenn sie im Durchschnitt je Kuh 5000 Liter Milch abgab, so gelten heute Kühe mit fast 11.000 Liter Milch im Jahr als Normmarke. Im Kantinenbereich des Instituts hängen die Urkunden für besonders hervorragende Milchkühe. Die haben es dann auch von einer Nummer auf dem Chip, der im Ohr klemmt, wieder zu einem Namen gebracht. Gefeiert wird beispielsweise die Kuh Dolores, die es auf eine »Lebensleistung« von 100.000 Liter Milch brachte.

Auch im Biohof stehen also extrem auf Leistung hochgezüchtete Tiere, übrigens das aus früheren Zeiten bekannte Schwarzbunte Niederungsvieh. Nach der Wende musste man um diese für die ostdeutsche Landwirtschaft typische Rasse fürchten. Es war im Gespräch, ob der Seltenheit ihr Genpotenzial zu schützen und zu erhalten, weil die ostdeutschen Bauern sich erst einmal mit den braunen Rindern eingedeckt hatten, die aus Bayern und von Alpen-Postkarten bekannt sind. Nun aber haben die »Schwarzbunten« ihr angestammtes Terrain zurückerobert.

Zum Leibniz-Innovationshof gehören eine Forschungs-Bioraffinerie mit Algenkultivierung, eine Naturfaserverarbeitung, ein »Reststoffmanagement mit integrierter Biogasanlage« und eine Insektenaufzucht »aus Reststoffen«. Erzeugt werden Mehlwürmer für die Fischaufzucht, aber auch Insekten, die zum Verzehr für den Menschen geeignet sind. Darunter befinden sich Seidenraupen, deren Seide sozusagen als Abfallprodukt gewonnen wird. Insekten-Snacks mögen in Mitteleuropa noch den Stempel des Ungewöhnlichen tragen, in vielen Regionen Afrikas und Asiens bilden sie schon heute eine nicht wegzudenkende Grundlage für die Ernährung der Menschen.

Die Pressetour unter dem Motto »Brandenburg ist Bioökonomieland« führt weiter nach Wustermark (Teltow-Fläming), wo die Firma Hermetia darstellen kann, dass sie in der Insektenproduktion und -verarbeitung das Versuchsstadium längst verlassen hat: Als erste industrielle Insektenfarm Deutschlands verarbeitet Hermetia jährlich 300 Tonnen Larven der Schwarzen Soldatenfliegen zu Insektenmehl und Insektenfett. Auf diese Weise sei es möglich, Importprodukte wie Soja und Fischmehl im Futter für Hunde und Katzen zu ersetzen, sagt Juniorchef Konstantin Katz. Getötet würden die Larven mit heißem Wasser. »Das geschieht sehr schnell.«

Ihren Namen soll die Fliege bekommen haben, weil sie sich auf den Schlachtfeldern des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861 bis 1865 auf den verwesenden Leichen massenhaft vermehrt haben soll. Den deutschen Winter würde sie nicht überstehen, versichert Katz. Dennoch sei die Verhinderung ihres Ausbruchs dreifach abgesichert.

Noch ist es nach den geltenden EU-Gesetzen nicht möglich, Insekten auch dem Futter von Nutztieren zuzusetzen, die später zum Verzehr geschlachtet werden. Allerdings wird in dieser Hinsicht ein Durchbruch erwartet. Mit öffentlicher Förderung gelinge derzeit in der Hermetia-Unternehmensbilanz die »schwarze Null«, heißt es. Um die Gewinnzone zu erreichen, müssten die Anlagen erweitert werden. Bisher stehen Gewächshäuser mit 3500 Quadratmetern zur Verfügung. Erworben worden sei schon eine Fläche bei Eberswalde, um irgendwann einmal 1000 Tonnen Insekten zu erzeugen. Doch bescherte der Naturschutz dem Vorhaben zumindest zeitweilig einen Rückschlag. Denn auf dem Areal ist laut Katz die streng geschützte Rote Zauneidechse entdeckt worden. Die muss jetzt erst mal umgesiedelt werden. »Wir wissen nicht, wie lange das noch dauert.«

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