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Der Kollaps lag förmlich in der Luft

  • Karlen Vespe
  • Lesedauer: 3 Min.

Auseinandersetzung der beiden Systeme stand, erinnert an sicherheitspolitische Ängste und Großmachtgebaren, Verharren auf Maximalforderungen und Engstirnigkeit auf beiden Seiten. Prokop widerlegt Legenden, pauschale Schuldzuweisungen und die ahistorische Sicht auf den „Mauerbau“ als eine rein (innerdeutsche Angelegenheit.

Die USA und die UdSSR, schreibt Prokop, sahen sich Ende der 50er mit der Tatsache konfrontiert, die Konsequenzen aus dem sich herausbildenden atomaren Patt zu ziehen und eine deutliche Abgrenzung ihrer jeweiligen Einflußsphären vorzunehmen. Die mit John F. Kennedy Anfang 1961 in den Vereinigten Staaten an die Regierung gelangte neue Administration habe ihren Führungsanspruch auf die- westliche Welt begrenzt und bezüglich Berlins nur noch Einfluß und Mitsprache im Westteil der Stadt beansprucht.

Siegfried Prokop: Unternehmen „Chinese Wall“. Die DDR im Zwielicht der Mauer R.G. Fischer Verlag, Frankfurt 1992. 219. S., br., 19,80 DM.

Gleichwohl listet der Autor die innenpolitischen Zwänge der damaligen DDR-Führung auf, beleuchtet das Dilemma, in dem sich der ostdeutsche Staat durch die offene Grenze zu Westberlin befand: „Grenzgänger“, Abwerbung, Republikflucht, Schmuggel, Sabotage, heißer Medienkrieg etc. Mit der plötzlichen Aufkündigung des seit 1951 laufenden Handelsabkommens BRD-DDR durch Bonn zum 31. Dezember 1960 lag ein wirtschaftlicher Kollaps förmlich in der Luft. Hart trafen die DDR auch die verschärften Embargobestimmungen („damit wurden etwa 10 Prozent der Gesamtimporte der DDR in Frage gestellt“). Der infrastrukturell weniger

begnadete, von Rohstoffimporten abhängige und die grö-ßere Reparationslast tragende ostdeutsche Staat war in einem Teufelskreis gefangen, der auch unter größten wirtschaftlichen Anstrengungen (die Dynamik der volkswirtschaftlichen Entwicklung, meint Prokop, war bis 1960 „immerhin nicht gering“) schwerlich zu sprengen war. Fatal wirkte sich aus, daß euphorische Pläne aufgestellt wurden. Den Siebenjahrplan 1958-1965 bezeichnet Prokop als ein politisch riskantes Vorhaben, das mit dem gegebenen Arbeitskräfte- und Rohstoffreservoir scheitern mußte. Hinzu kamen Moskauer Vorgaben, wie der Aufbau einer Flugzeugindustrie oder Chruschtschows Maiskampagne und Rinderoffenställe. Die im Frühjahr 1961 erfolgte Kehrtwendung „führte im Alltag zu mancher Komik“, erinnert der auch den Details große Aufmerksamkeit widmende Autor: „Ein LPG-Vor-

sitzender im Kreis Salzwedel, der 1959 wegen Zumauerns seiner Offenställe eine Strafe in Höhe von 500 Mark bezahlen mußte, erhielt 1961 eine Prämie von 500 Mark dafür, daß er die Offenställe schon geschlossen hatte.“

Trotz einer Finanzspritze der UdSSR und Hilfeleistungen anderer RGW-Staaten im Frühjahr 1961 drohte die Situation in der DDR in einen „zweiten 17. Juni“ einzumünden. Dies konnte sich auch Moskau nicht leisten. So wurde im obersten Gremium des Warschauer Paktes der Mauerbau beschlossen.

Prokops interessantes, faktenreiches und zugleich Zeitkolorit vermittelndes Buch sei vor allem Studenten und Oberschülern anempfohlen, die sich nicht mit dem Einbimsen des offiziellen Geschichtsbildes in Bundesdeutschland begnügen wollen.

KARLEN VESPER

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