Es schadet doch nichts

Anthroposophie geriert sich zunehmend als der esoterische Arm der Querdenker-Szene, warnt Oliver Rautenberg

  • Oliver Rautenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt Menschen, die sind durch Fakten nicht mehr zu erreichen. Ach, das wussten Sie schon? Es gibt aber auch Menschen, die haben Faktenfreiheit gleichsam zum Lebensweg, zur Religion und zum Geschäftsmodell gemacht. Aus dem Reich der alternativen Fakten ist eine Weltanschauung entsprungen, die ebenso weit verbreitet wie unbekannt ist: die »Anthroposophie« Rudolf Steiners.

Sein aus höheren Welten empfangenes esoterisches Weltbild trägt Merkmale klassischer Verschwörungstheorien: Es gibt keinen Zufall, nichts ist so wie es scheint, und alles ist mit allem verbunden. Dazu ein Gut-Böse-Dualismus, der die Welt in »die« und »wir« unterteilt. In der Pandemie zeigt sich, wie gefährlich die vermeintlich harmlose Esoterik sein kann: Sie ist der Einstieg in den Ausstieg aus dem rationalen Denken.

Der Autor
Oliver Rautenberg ist freier Journalist und beschäftigt sich kritisch mit Anthroposophie, Rudolf Steiner und Waldorfschulen. Er betreibt die Website anthroposophie.blog.

Und die Esoterik nach Steiner begegnet uns täglich: in der Demeter-Landwirtschaft, in der Waldorfpädagogik, bei Produkten von Weleda und an vielen anderen Orten. Sie gilt als die wohl größte und einflussreichste esoterische Strömung Europas. Ihre Branche der alternativen Lebensmodelle boomt. Und in dieser Nische lässt es sich staatlich gefördert und wirknachweisbefreit gut leben. Doch was schadet es?

Manche Bioläden entpuppen sich plötzlich als Horte von Virusleugnern, viele Waldorfschulen sind mehr fürs Querdenken als fürs Namentanzen bekannt, und die anthroposophische »Medizin« hat außer Globuli mit »Lichtsubstanzen« gegen die düstre Zeit keine Antwort auf die Coronakrise. Im Gegenteil: Sie gießt noch zusätzlich ihr Bio-Öl ins Feuer. Längst rufen Waldorflehrer einen Staatsstreich herbei und aus allen Praxisfeldern der Alternativdenker tönt Corona-Geschwurbel.

Esoterischer Arm der Querdenker-Szene

Die Anthroposophie geriert sich zunehmend als der esoterische Arm der Querdenker-Szene. Ihre Führungsfiguren beten Verschwörungsmythen vor, die Straße wiederholt sie lautstark. Die Querdenken-Bewegung ist auf der Sinnsuche falsch abgebogen und auf ausgetretenen Pfaden gelandet, die Anthroposophen seit langem beschreiten. Das rechtspopulistische Magazin »Compact« feierte Rudolf Steiner unlängst als einen der Ihren, als den »ersten Querdenker«.

Den rechtsoffenen Verschwörungsideologen von »Die Basis« und »Wir2020« schrieb ein Waldorflehrer Rudolf Steiners »Soziale Dreigliederung« ins Parteiprogramm. Und zum »Sturm auf den Reichstag« durch Querdenker, Esoteriker und Rechte rief ausgerechnet eine anthroposophisch orientierte Heilpraktikerin und Waldorfmutter auf.

Querdenker auf dem Weg nach Rechtsaußen

Studien zeigen, dass Querdenker*innen empfänglich für die Thesen der Anthroposophen sind. Man misstraut der »Staatsschule«, »Staatsmedien« und »Big Pharma«, vertraut lieber Ersatzschulen, RT Deutsch und der Globuli-Industrie. Man glaubt, Selbstheilungskräfte reichten gegen das Virus aus, Alternativmedizin werde unterdrückt und überhaupt müsse man einfach nur zurück zur Natur. Das sind Positionen, die man auch in der Hellseher-Religion des Okkultisten Rudolf Steiner findet.

Wer heute noch nicht gegen Corona geimpft ist, der will das meist auch nicht mehr nachholen. Man positioniert sich außerhalb der Gesellschaft, weil man es vorgeblich besser weiß. Und auch die vormals »links-grünen« Positionen der Alternativgläubigen wandeln sich: Längst sind die Querdenker*innen auf dem Weg nach Rechtsaußen.

Übertoleranz für abseitige Weltbilder

Wir haben den alternativen Fakten große Freiräume in unserer Gesellschaft eingerichtet. Doch das Tolerieren von Fakten-Intoleranz fällt uns heute auf die Füße. Alternativgläubigkeit führt zur Verfestigung von Verschwörungsmentalität. Verschwörungen führen zur Abkehr von der aufgeklärten Gesellschaft und damit von Staat, Wissenschaft und Medien. Es ist das Toleranzparadoxon: Zeigen wir Toleranz für eine Haltung, die Wissenschaft, Rationalität und Evidenz ablehnt? Wollen wir Wissenschaftsleugnung weiter als »abweichende Meinung« wegtolerieren? Wenn wir Fakten und Fiktion als gleichwertig ansehen, nimmt die aufgeklärte, demokratische Gesellschaft schaden daran.

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