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  • Im Westen was Neues - Heute: Die LINKE im Saarland

Große Koalition der ganz anderen Art in Eppelborn

Ein Gespenst geht um: Neue LINKE in der Heimatgemeinde des saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Handy von Jürgen Zimmer klingelt. Der rundliche 48-Jährige springt auf. »Da musst Du gleich herkommen«, ruft er aufgeregt. Die Tochter eines der Beschäftigten in seiner inzwischen pleitegegangenen Firma bittet um Hilfe: Die alleinstehende Mutter dreier Kinder, Hartz IV-Betroffene, war der Aufforderung der Arbeitsagentur gefolgt und hatte sich eine kleinere Wohnung gesucht und jetzt soll der »Zwangsumzug« an der Kaution scheitern. Sie wendet sich an Zimmer - und quirlig, wie der nun mal ist, will er sie am Liebsten gleich ins Bürgerbüro Oskar Lafontaines in Saarlouis lotsen.

Soziale Verantwortung als Soforthilfe
»Gemach, gemach«, heißt es indes da und die Frau erhält einen Termin in der Sprechstunde eines Rechtsanwaltes in besagtem Anlaufpunkt der LINKEN. Zimmer guckt leicht irritiert - soziale Verantwortung hat er sich offensichtlich mehr als Soforthilfe vorgestellt.
Mit den Linken kennt Zimmer sich eben noch nicht so aus. Er ist erst seit ein paar Wochen Mitglied. Vorher war er viele Jahre in der CDU, ganz früher Betriebsratsvorsitzender, später selbstständiger Unternehmer. Seine Firma war auf Dekontaminierung spezialisiert und hat auch in Sachsen auf ehemaligem Wismut-Gelände ihr Geld gemacht. 50 Mitarbeiter hatte Zimmer - Geländewagen, Geld und Geltung. Über Nacht war Schluss mit all dem. Als Subunternehmer einer sächsischen Baufirma geriet er in deren Insolvenzstrudel. Die 50 Leute musste er nach Hause schicken - und Zimmer bekam zu Schuldbewusstsein, Schulden und Scheidung auch noch Krebst. Ein Jahr Krankenhaus, später Hartz IV - der Christdemokrat erfuhr am eigenen Leib die Segnungen praktizierter CDU-Politik. Und am Abend, als er mitbekam, dass in Heiligendamm Bundeswehr-Tornados gegen die G 8-Gegner flogen, hat es ihm gereicht. Zwischen dem Austritt aus der CDU und dem Eintritt bei den Linken lagen nur Tage.
»Die hätten Grüne, Graue oder sonst wie heißen können. Es geht um das, was sie wollen: Soziale Gerechtigkeit, Mindestlohn, weg mit Hartz IV, Kampf gegen Kinderarmut.« Zimmer sieht den Schritt von Schwarz zu Rot gar nicht so spektakulär. »Wenn du nach 30 Jahren harter Arbeit deinen Job verlierst, fragt dich keiner, ob du früher in der CDU oder bei den Linken warst. Das trifft alle gleich. CDU und SPD haben sich vom Volk verabschiedet, da kann man nicht mehr mitmachen«, sagt Zimmer. So wurde aus ihm einer von 1400 Zugängen bei der Saar-Linken. Freilich konnte der Mann aus Eppelborn nicht wissen, dass er unter anderen Neumitgliedern bei der LINKEN auf seinen alten Kumpel Jörg Vogel treffen würde. Der Gleichaltrige hatte etwa zur gleichen Zeit beschlossen, nach über 25-jähriger SPD-Mitgliedschaft das Parteibuch hinzuschmeißen. Der inzwischen erwerbsunfähige ehemalige Logistiker, der in den Saar-Bergwerken als Jugend- und später Behindertenvertreter gestritten hatte, lebt im gleichen Ort wie Zimmer - und noch dazu in geradezu fühlbarer Nachbarschaft zum saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller, den in Eppelborn alle nur den Peter nennen.
Der Frust hatte auch Vogel schon lange im Griff: »Die SPD war für mich, wie für meinen Vater schon, die Sozialpartei. Wir Gewerkschafter haben uns da zu Hause gefühlt«, sagt Vogel rückblickend und ein wenig traurig. Und mit Blick nach vorn: »Das soziale Bild, das die LINKE heute abgibt, ähnelt dem der SPD von einst«, ist sich der eher zurückhaltende Mann sicher. Der Grund, weshalb er den Weg dorthin gefunden hat. »Ich wäre nie in die CDU gegangen, das wäre die falsche Richtung. Und vermutlich hätte ich auch nie den Weg in die PDS gefunden. Aber jetzt gibt es da so viel gewerkschaftliche Kompetenz. Ich bin Mitglied einer neuen Partei, ohne meine Überzeugungen über Bord zu werfen.« Was die Ex-Genossen sagen, die seinen Austritt ob des eigenen Magengrummelns über die desaströse Entwicklung der SPD mit der Agenda 2010 noch verständlich gefunden haben, wenn sie ihn in der linken Konkurrenz wiederfinden? Vogel zuckt die Schulter. Das sieht er inzwischen gelassen. Lange genug hat er mit sich gerungen.

CDU und SPD führten Strichlisten
Dabei haben Zimmer wie Vogel bereits ein bisschen von dem Argwohn ihrer einstigen Parteifreunde zu spüren bekommen. Es war allerdings auch frech von ihnen beiden, ausgerechnet im Stammlokal ihres Ministerpräsidenten, dem »Big Eppel«, die erste Informationsveranstaltung der LINKEN zu organisieren. Die Emissäre von CDU und SPD waren offenbar in froher Erwartung einer fundamentalen Pleite zugegen - und mussten mit ansehen, dass Zimmer und Vogel 67 Interessierte begrüßten. Strichlisten seien bei den Beobachtern geführt worden, feixen die beiden. Und dass es an jenem Abend Telefonate bis in die Staatskanzlei gegeben habe, können sich auch beide lebhaft vorstellen. Für kommenden Dienstag planen die Neu-Linken ihr nächstes Treffen - und der umtriebige Zimmer träumt schon von Ortsvernetzungen, während der überlegte Vogel sich ziemlich sicher ist, dass die LINKE in Eppelborn im Unterschied zur früheren PDS demnächst ganz andere Ergebnisse einfahren kann ...
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