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  • Studie der Otto-Brenner-Stiftung

Sozialrhetorik der AfD ist nur eine Fassade

Studie im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung zeigt, dass die Rechtsaußenpartei oft auf neoliberale Wirtschaftskonzepte setzt

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sozial, ohne rot zu werden« – bei dieser Losung handelt sich mittlerweile um einen wahren Klassiker aus dem Baukasten der AfD-Rhetorik. Parteichef Tino Chrupalla bewarb damit das Rentenkonzept, der AfD-Sozialpolitiker Jürgen Pohl nutzt die Formel in seinen Reden, ebenso der frühere Bergarbeiter und heutige Europaabgeordnete Guido Reil. Chrupalla behauptete im Bundestagswahlkampf in Richtung Gewerkschaften sogar, die AfD vertrete »die Interessen deutscher Arbeiter besser als die IG Metall«.

Ein Rhetorik, die offensichtlich bei der damit adressierten Zielgruppe verfängt: Bei der Bundestagswahl gaben laut dem Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap wie schon vier Jahre zuvor 21 Prozent der an der Abstimmung teilnehmenden Arbeiter*innen ihre Zweitstimme der AfD, bei den Arbeitslosen waren es 17 Prozent. Damit landete die Partei in beiden Gruppen jeweils auf Platz zwei hinter der SPD. Unter den Angestellten holte die AfD immerhin noch elf Prozent. Doch ist die AfD eine Partei der »kleinen Leute«, wie es beispielsweise Alexander Gauland auf dem Bundesparteitag 2019 in Braunschweig behauptete?

Diese soziale Rhetorik ist nur eine »oberflächliche Fassade«, lautet das Urteil einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Drei Wissenschaftler vom österreichischen Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz analysierten für ihre Arbeit sämtliche Redebeiträge, Anträge sowie Gesetzesentwürfe der AfD-Fraktion im Bundestag zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen von 2017 bis Ende 2020. Auch das Wahl- und Parteiprogramm sowie die Arbeit der AfD-Vertreter*innen in den Fachausschüssen des Bundestags flossen in die Betrachtung ein.

Eindeutiges Fazit: In ihrer parlamentarischen Praxis argumentiere und stimme die Partei »weitgehend gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland«. Durch eine »nach außen getragene populistische Sozialrhetorik« werde der neoliberale wirtschaftspolitische Kern der AfD vernebelt.

Mit hartem Zahlenwerk untermauern die Forscher, dass die AfD-Fraktion anders handelt, als sie in der Öffentlichkeit verbal auftritt. So votierte die Fraktion im untersuchten Zeitraum bei 75 Prozent aller Abstimmungen zur Gestaltung des Sozialstaates wie die marktradikale FDP. In der Praxis bedeutete dies fast immer ein Votum gegen einen Erhalt oder Ausbau sozialstaatlicher Leistungen und ein Ja zum Abbau sozialer Maßnahmen. Wirtschafts- und sozialpolitische Interessen von Arbeitnehmer*innen und »von allen Menschen, die sich für mehr soziale Gerechtigkeit engagieren, werden von dieser Partei links liegen gelassen und nicht vertreten«, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung.

Die Liste sozialstaatsfeindlicher Abstimmungen ist lang: So stimmten die AfD-Abgeordneten gegen den Abbau von Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher*innen, gegen eine Erhöhung des Schutzes von Mieter*innen wie auch gegen eine »stärkere staatliche Umverteilung.« Erheben Partei und Fraktion soziale Forderungen, geschehe dies »sehr selektiv« und werde oft einer »neoliberalen Argumentation« untergeordnet. Im Kern gehe es meist um Konzepte, die »Leistungsgerechtigkeit« und »Eigenverantwortung« betonten. Ein Anspruch auf soziale Teilhabe und Absicherung werde zudem oft nur für die vermeintlich »einheimische« Bevölkerung gefordert.

Wirtschaftspolitisch setze die AfD klar auf Vokabeln und Rezepte neoliberaler Denkrichtungen: »Freier Handel, Konkurrenz, Entbürokratisierung und Wettbewerbsfähigkeit gelten den Rechtspopulist*innen in parlamentarischen Anträgen und Reden als Lösungen (fast) aller Probleme«, heißt es in der Studie. Konkret äußert sich dies auch im Stimmverhalten der AfD im Bundestag. Unterstützt wurden etwa Anträge der FDP zur Senkung von Unternehmensteuern und zur Abschaffung der Gewerbesteuer.

Es war »überraschend zu sehen, dass sich im Bereich Wirtschaft und Soziales beinahe hinter jedem Argument und jeder Forderung neoliberales Denken verbirgt«, so Studienautor Stephan Pühringer. Die Ergebnisse der Studie decken sich mit bisherigen Analysen und Einschätzungen anderer Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler*innen, etwa des Ungleichheitsforschers Christoph Butterwegge und des Soziologen Klaus Dörre.

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