Ein schlechtes Jahr für Mieter

Mit gekipptem Mietendeckel und Vorkaufsrecht war 2021 ein Jahr der Rückschläge - ein Erfolg ist der Sozialisierungs-Volksentscheid

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.

Manchmal liegen Höhen und Tiefen nah beieinander. Bei allem Jubel über den gewonnenen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen sorgten dieses Jahr zwei Gerichtsentscheidungen für mietenpolitische Schritte rückwärts. Nicht nur der Mietendeckel ist vor Gericht gescheitert. Auch das Vorkaufsrecht kann praktisch nicht mehr angewandt werden, um Häuser in Milieuschutzgebieten vor Investoren zu retten. In beiden Fällen richten sich die Blicke seither auf den Bundestag. Denn 2021 hat ein grundsätzliches Problem schmerzlich verdeutlicht: Berlin ist auf den Bund angewiesen, wenn es effektiv gegen Mietenanstieg und Verdrängung vorgehen will.

Der ambitionierte Versuch des Landes, eigenmächtig den Mietmarkt zu regulieren, ist seit dem 15. April Geschichte: Das Bundesverfassungsgericht kassierte den vom Abgeordnetenhaus im Januar 2020 verabschiedeten Mietendeckel. Jenes Gesetz, mit dem Mieterhöhungen untersagt, Obergrenzen festgelegt und später auch überhöhte Mieten abgesenkt wurden. Dem Land fehle die Gesetzgebungskompetenz. Das Mietpreisrecht liege in der Zuständigkeit des Bundes, so der Beschluss aus Karlsruhe, der bei der Immobilienlobby Sektkorken knallen und bei den Mietern Hoffnungen zerplatzen ließ.

Denn in den vergangenen zehn Jahren haben sich die Mieten in Berlin mehr als verdoppelt. Auch Bundesgesetzgebungen wie die Mietpreisbremse konnten den Anstieg kaum bremsen. Der Mietendeckel wäre in dieser Situation ein »Richtungswechsel« gewesen, sagt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein zu »nd«. »Gerade der öffentlich-rechtliche Charakter des Gesetzes hatte den Vorteil, dass sich Mieter bei unzulässigen Miethöhen an die Verwaltung wenden konnten und nicht wie bei der Mietpreisbremse selbst klagen mussten«, erklärt er. Sollte es ohne Deckel also einfach so weitergehen wie bisher?

Der Tenor bei den bis zu 20 000 Mietern, die am Abend des 15. April in Berlin gegen die Entscheidung aus Karlsruhe auf die Straße gingen, war eindeutig: Wenn das Bundesverfassungsgericht lediglich entschieden hat, dass dem Land die Gesetzgebungskompetenz fehlt, dann müsse eben für den Mietendeckel im Bund gekämpft werden.

Sieben Monate später findet sich im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP weder ein bundesweiter Deckel noch eine Öffnungsklausel, die den Ländern erlauben würde, solch ein Gesetz selbst zu beschließen. Selbst das von der SPD vorgebrachte Mietenmoratorium sucht man vergebens.

»SPD und Grüne haben sich im Bund über den Tisch ziehen lassen. Die Ampel bleibt weit hinter dem zurück, was gerade in den Städten notwendig gewesen wäre, um einen Anstieg der Mieten zu verhindern«, zeigt sich Katrin Schmidberger enttäuscht. Die Mietenexpertin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus kündigt zwar an, dass die Berliner Grünen ihre Bundespartei nicht aus der Verantwortung lassen werden. Doch die Konstellation, die sich als Bundesregierung zusammengefunden hat, lässt sich auch als ein zweites Aus für den Mietendeckel verstehen. Oder wie es Reiner Wild formuliert: »Mit der FDP wird eine Regulierung der Mietpreise wohl nicht zu machen sein.«

Dass der Bund Berlin allein lässt im Kampf gegen den Mietenwahnsinn, dieses Gefühl haben auch stadtpolitisch aktive Mieter. Eigentlich läge es auf der Hand, dass es eine Begrenzung der Mieten braucht, sagt Doro aus der Hermannstraße 48 in Neukölln. »Wir Mieter*innen reden ja mittlerweile nicht mehr, wir schreien schon längst.« Allein, es scheint nichts zu nützen. Die neue Regierung im Bund würde ebenso wie das wiederaufgelegte Mitte-links-Bündnis aus SPD, Grünen und Linken in Berlin hauptsächlich auf die Neubauzahlen schauen. »Obwohl alle mittlerweile wissen müssten, dass das allein keine Lösung bringt«, so Doro zu »nd«.

Für Doros Hausgemeinschaft und zahlreiche andere war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel nicht die einzige gerichtliche Hiobsbotschaft des nun zu Ende gehenden Jahres. Anders als die Entscheidung zum Mietendeckel, die lange so auch erwartet worden war, kam die zweite am 9. November überraschend. Da hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem Rechtsstreit über ein Haus in Kreuzberg geurteilt, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt werden darf, wenn lediglich angenommen wird, dass der neue Eigentümer eines Hauses in Zukunft gegen den Milieuschutz verstoßen könnte.

Das Vorkaufsrecht war in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Instrumente der Bezirke im Kampf gegen Verdrängung geworden. Wurde in einem Milieuschutzgebiet ein Haus verkauft, so drohten die Baustadträte, einen gemeinwohlorientierten Dritten an die Stelle des eigentlichen Käufers zu setzen, wenn Letzterer sich nicht verpflichtend auf Regelungen zum Mieterschutz einlässt. Seit 2015 sind so über 2600 Wohnungen vor allem an landeseigene Wohnungsunternehmen statt an Investoren gegangen. Für Tausende wurden die sogenannten Abwendungsvereinbarungen mit einem Schutz vor Modernisierungen und Umwandlungen abgeschlossen.

Auch für die Hermannstraße 48, die vor ziemlich genau einem Jahr verkauft wurde, übte der Bezirk Neukölln im Februar 2021 das Vorkaufsrecht aus. Das Haus sollte von einer von den Mietern gegründeten GmbH gekauft werden. Doch die Eigentümerin und der eigentliche Käufer legten Widerspruch ein. Die Mieter sahen einem Jahre dauernden Rechtsstreit entgegen. Mit dem Urteil vom November schwinden nun auch die Hoffnungen, diesen zu gewinnen.

Das Absurde sei, sagt Doro von der Hausgemeinschaft, dass sie am Anfang des Jahres noch Forderungen aufgestellt hätten, was alles verbessert werden müsste beim Vorkaufsrecht. »Jetzt würden wir uns sogar freuen, wenn die Situation wieder so wäre wie im Frühjahr.«

Eigentlich müsste nur ein Satz im entsprechenden Paragrafen des Baugesetzbuches ergänzt werden, damit die Kommunen das Vorkaufsrecht auch in Milieuschutzgebieten wieder rechtssicher ausüben können. Der Bundesrat hatte vor der Novelle des Baugesetzbuches auf diese Lücke im Gesetz hingewiesen. Doch die alte schwarz-rote Bundesregierung blieb untätig. Ihre Ampel-Nachfolger wollen jetzt prüfen, ob sich aus dem Urteil zum Vorkaufsrecht ein »gesetzgeberischer Handlungsbedarf« ergibt. Bis auf Bayern hatten im November auf der Konferenz der Bauminister alle Bundesländer auf eine zügige Gesetzesänderung gedrängt. Denn wenn auch nicht in dem Umfang wie in Berlin, war das Vorkaufsrecht doch auch andernorts - etwa in Hamburg oder München - ein wichtiges Instrument gegen Verdrängung.

Ob Regulierung der Mietpreise, eine Änderung beim Vorkaufsrecht oder auch ein verbesserter Schutz von Gewerbemietern: Die Appelle an den Bundestag sind zahlreich, die Spielräume für die Länder hingegen begrenzt. Dass viele Regelungen Bundesrecht betreffen, mache insofern Sinn, als es auch darum gehe, gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land zu schaffen, erklärt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Das Problem beginne aber dort, wo der Bundesgesetzgeber nicht differenziert auf die sich unterscheidende Lage auf den jeweiligen Wohnungsmärkten reagiere. Dann, so Wild, »braucht es eine Möglichkeit für die Länder und Kommunen selbst nachzubessern«.

»Auf Landesebene spielen wir oft die Feuerwehr, nur mit kaum Löschwasser im Schlauch«, sagt Katrin Schmidberger zu »nd«. Für sie ist das auch ein »Demokratiedefizit«. Denn es wäre nicht vermittelbar, wenn Berlin nicht selbst effektiven Mieterschutz für Berlin machen kann. Dass aber auf Landesebene gar nichts möglich sei, will sie nicht gelten lassen. Im rot-grün-roten Berliner Koalitionsvertrag würden viele wichtige Vorhaben stehen. Die Einführung eines Mietkatasters oder die Schärfung des Zweckentfremdungsverbots - die Liste für die kommenden fünf Jahre sei lang.

Ganz oben steht auch bei ihr ein Vorhaben, das gezeigt hat: Berlins Mieter warten nicht mehr darauf, dass die Politik dem Mietenwahnsinn von selbst etwas entgegensetzt. Denn neben den gerichtlichen Rückschlägen wird 2021 auch in Erinnerung bleiben als das Jahr, in dem über eine Million Berliner für den Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Bestände großer privater Wohnungsunternehmen gestimmt haben. Ein Jahr, in dem eine Kampagne wie Deutsche Wohnen & Co enteignen über Milieugrenzen hinweg Menschen von einem radikalen Eingriff in den Wohnungsmarkt überzeugen konnte. Damit sich auch die Politik noch an das Votum der Berliner erinnert und die einzusetzende Expertenkommission die Umsetzung des Ergebnisses des Volksentscheids nicht verschleppt, wird es auch im kommenden Jahr wieder das brauchen, an dem es 2021 zumindest nicht gemangelt hat: den Druck der Straße durch eine kämpferische Mietenbewegung.

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