Das Wunder von Neukölln

Trotz gewaltiger Infektionszahlen sollen fast alle Berliner Schulen weiter am Regelbetrieb festhalten

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Omikron rauscht durch die Klassenzimmer: Innerhalb einer Woche hat sich die Zahl der positiv auf das Coronavirus getesteten Berliner Schülerinnen und Schüler mehr als verdreifacht. Das geht aus der am Freitag veröffentlichten Corona-Statistik der Senatsbildungsverwaltung hervor.

Demnach wurden dem Haus von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) aus den öffentlichen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen der Hauptstadt bis zum Donnerstag 7583 nachweislich infizierte Schülerinnen und Schüler gemeldet, gut 5200 mehr als in der Vorwoche. Auch beim Personal der öffentlichen Schulen gehen die Zahlen im gleichen Zeitraum von 365 auf 833 durchaus steil nach oben.

Der explosionsartigen Entwicklung zum Trotz wird dabei an fast allen Berliner Schulen am Regelbetrieb festgehalten. Gerade mal 15 der insgesamt rund 690 staatlichen Schulen gehen ab Montag in den Wechselunterricht. Für alle anderen sehen die jeweiligen Gesundheitsämter im Zuge ihrer allwöchentlichen Abspracherunde mit den Schulaufsichten keinen weiteren Handlungsbedarf.

Ähnlich überraschend ist mitunter das Bild bei den ab Montag geschlossenen Lerngruppen. So entfallen auf die berlinweit fast 210 nach Hause geschickten Gruppen lediglich sieben auf Neukölln - den Bezirk also, der am Freitag mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 1370 einen schwindelerregenden Wert erreicht hat. Dementsprechend entfallen zwar auch fast 1000 der gut 7600 positiv getesteten Schülerinnen und Schüler auf Neukölln. Auswirkungen auf die Entscheidung von Gesundheitsamt und Schulaufsicht scheint dieser Umstand aber nicht zu haben.

»In Neukölln passt das doch alles nicht zusammen, wenn man sich die Inzidenzen anschaut«, sagt Tom Erdmann, Berlins Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, zu »nd«. Das Wunder von Neukölln verdeutliche noch einmal das Problem, »dass die Kriterien, nach denen die Einstufungen durch die Ämter vorgenommen werden, überhaupt nicht transparent sind«, kritisiert der Gewerkschafter. Im Corona-Stufenplan der Bildungsverwaltung müssten endlich feste Werte verankert werden, ab welchen Infektionszahlen eine Schule in den Wechselunterricht geht.

Die Bildungsverwaltung selbst bekräftigt unterdessen, an dem eingeschlagenen Kurs festhalten zu wollen. »Der Stufenplan hat sich gut eingespielt«, sagt Sprecher Martin Klesmann zu »nd«. Auch die immer wieder erhobenen Forderungen nach einem »Plan B«, sollten die Fallzahlen an den Schulen noch weiter steigen, stoßen hier auf wenig Verständnis. »Es gibt ja einen Plan A, einen Plan B, einen Plan C, und zwar in Form des Corona-Stufenplans«, verteidigt Klesmann die Linie von Bildungssenatorin Busse.

Busse führt damit im Grunde die Politik ihrer Vorgängerin Sandra Scheeres (SPD) fort. Das gilt auch für die Weigerung, die Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler vor Ort in den Klassenzimmern auszusetzen. Seit Wochen fordert nicht zuletzt die Berliner Linke, dass es angesichts des Infektionsgeschehens den Eltern überlassen werden sollte, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken oder zu Hause lassen. Busses Sprecher Martin Klesmann stellt nun noch einmal klar: »Natürlich nehmen wir die Sorgen von Eltern ernst, aber erst mal werden wir daran festhalten.«

Der Druck wird freilich größer. So plädiert inzwischen – anders als noch vor einer Woche – auch der Vorsitzende des Landeselternausschusses, Norman Heise, erneut für ein Aussetzen der Anwesenheitspflicht. »Ich glaube schon, dass wir an dem Punkt angekommen sind, dass Eltern die Möglichkeit gegeben werden muss, diese Entscheidung für ihr Kind zu treffen«, sagt Heise am Freitag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Überhaupt sei es »keine Entscheidung zugunsten der Kinder« immer wieder darauf zu verweisen, dass die Schule offen bleiben müssen. »Es ist nur dieses wirtschaftliche Interesse, dass die Eltern an den Arbeitsplätzen zur Verfügung stehen sollen«, so Heise weiter.

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